Den ersten Stein

Thorpes Schritt Verrat nennt? Einen Verräter
     zum Gönner zu haben wäre ein schlimmer Bruch in Ihrer Karriere.«
    »Wie nett, dass Sie sich solche Sorgen um mich machen.«
    »Sie bezahlen mich«, sagte ich. »Wie würde es Ihnen gefallen, Thorpe reinzuwaschen und ihn und die Ältesten künftig zu Ihrem
     Fanclub zu zählen?«
    Whites Mund presste sich zu einem schiefen Strich zusammen, aber er hatte meinen Köder schon geschluckt.
    »Ich habe eine Theorie. Sie hat mit etwas zu tun, das heute Vormittag passiert ist.«
    »Nennen Sie seinen Namen nicht«, forderte White mich auf. Seine Augen zuckten in die Richtung der verspiegelten Scheibe. »Haben
     Sie irgendeinen Beweis?«
    »Ich kann beweisen, dass er töten würde, um jemanden zum Schweigen zu bringen. Tatsächlich hat er es schon getan.« Ich konnte
     sehen, dass White das Wasser im Mund zusammenlief. Ich hätte den Raum wirklich gerne verlassen.
    »Wir können die Angelegenheit hier nicht besprechen«, sagte er. »Es gibt zu viele interessierte Ohren.«
    »Dann holen Sie mich hier raus.«
    White verschränkte seine fleckigen Wurstfinger und sah mich an. »Woher soll ich wissen, dass Sie mich nicht belügen?«
    »In diesem Fall können Sie mich jederzeit den anderen übergeben.«
    »Nennen Sie mir den Namen der Frau«, forderte White mich auf. »Als Zeichen Ihrer Glaubwürdigkeit.«
    Ich verdrehte die Augen zur Decke. Ich wollte von seinem Karussell herunter.
    Der Klang von einem Gegenstand aus Kunststoff, der auf dem Tisch landete, ließ meinen Blick wieder auf normale Höhe wandern.
     Zwischen uns stand ein kleines Fläschchen mit roten Tabletten. Es fiel mir verdammt schwer, so zu tun, als wären sie nicht
     da.
    »Nennen Sie mir ihren Namen, und die gehören Ihnen.«
    »Stand in meiner Akte, dass ich bestechlich bin?«
    »Ihr psychometrisches Profil legt das Gegenteil nahe. Aber diese Dinger hier fallen wohl kaum in dieselbe Kategorie wie ein
     Umschlag voll nicht gekennzeichneter Banknoten.« White schüttelte das Fläschchen leicht, damit ich hören konnte, wie die Tabletten
     darin klapperten.
    Die Armee hatte mir einen Haufen schlechte Gründe genannt, warum sie mich entließ, aber dieses Szenario hier war das einzige,
     dem ich nicht widersprechen konnte. Falls ich jemals vom Feind gefangen wurde, müsste man mir nur meine Medikamente wegnehmen
     und abwarten. Wenn ich nicht schon während eines Anfalls erzählte, was man wissen wollte, konnte man mich wieder so weit zur
     Besinnung bringen, dass mein Widerstand zerbrach.
    »Ich bin kein Arzt«, sagte White, »aber ich glaube nicht, dass Ihnen noch sehr viel Zeit bleibt.«
    Ich hörte White nicht mehr zu. Ich sah nur noch die Tabletten in seiner Hand.
    Ein Mann in der Uniform eines Deputy Chiefs stürmte in den Raum. Er war klein, glatzköpfig und ähnelte einem Klohaus aus Backstein.
     Mit geblähten Nasenflügeln betrachtete er White und mich. Zu meiner Enttäuschung trug er keinen Ring durch die Nase. Er wurde
     von Pyke gefolgt, der auf der Schwelle stehen blieb. Als wäre dort die Grenze seines Reviers.
    »Dieses Verhör ist vorbei«, sagte der Deputy Chief.
    »Auf wessen Befehl?«, fragte White, der sich erhob.
    »Auf Befehl des Bezirksstaatsanwalts von Manhattan«, sagte Pyke.
    »Sir, dieser Mann ist ein Augenzeuge mehrfachen Mords«, begann Whites Lieutenant und trat in den Raum, aber der Goldadler
     auf dem Kragen des Deputy Chiefs ließ sie verstummen.
    Ein trübsinniger Mann mit schütterem Haar, den ich für ihren Captain hielt, kam herein und blieb ebenso stumm.
    »Dies ist nun ein Terrorismusfall«, sagte der Deputy Chief. »Zum Zeitpunkt der Schießerei haben Mitglieder mehrerer christlicher
     Gruppierungen im Starlight Diner gegessen. Der Staatsanwalt hält den Angriff für ein Hassverbrechen säkularer Nihilisten.«
    »Ich habe die Terroristen getötet«, sagte ich. »Wann bekomme ich meine Medaille?«
    »Halten Sie sich da raus, Strange«, blaffte White mich an.
    Es ging ja schließlich nur um meinen Hals. Falls Pyke und sein Hampelmann mich in Gewahrsam nahmen, würde mein Leben noch
     genauso lange währen, wie man brauchte, um von diesem Revier in eine menschenleere Gegend zu gelangen. »Wenn der Staatsanwalt
     ein so großes Interesse an mir hat, warum ist er dann nicht hier?«, fragte ich.
    »Er hat uns geschickt«, antwortete Pyke. »Rufen Sie ihn an, wenn Sie mir nicht glauben.«
    »Dieser Mann ist ein Zivilist«, sagte White zu den Polizisten. »Er sollte eigentlich gar nicht