Den Jakobsweg erfahren
sich neben mich. Wir stellen uns einander vor. Es ist Frans aus
den Niederlanden. Er ist allein auf dem Weg nach Santiago und klagt über
Knieprobleme, nimmt aber darauf keine Rücksicht, sondern fährt schnell in
einem, wie ich finde, relativ hohen Gang. Wir unterhalten uns über alles
Mögliche. Unsere Kinder, Job und so weiter. Er ist von seinem alten Arbeitgeber
gekündigt und hat bereits eine neue Stelle, die er aber erst im August antritt.
Die Übergangszeit wird noch von seinem alten Chef bezahlt. So hat er reichlich
Zeit und beschließt, sich auf den Weg zu machen. Eine bessere Gelegenheit, so
erzählt er, würde er wahrscheinlich nie wieder bekommen. Er spricht sehr gut
deutsch. Immer wenn er einmal eine Vokabel nicht kennt, bitte ich ihn es mir
auf niederländisch zu erklären. Ich habe vor langer Zeit bei der
Volkshochschule ein Diplom in niederländisch abgelegt und kann die Sprache zwar
nur schlecht sprechen, aber verstehen kann ich sie immer noch recht gut. So
können wir uns hervorragend verständigen. Während wir im Gespräch vertieft
sind, fliegt mir plötzlich ein Insekt in den Mund und sticht mir unvermittelt
in die Zunge. Ich spucke es aus und sehe dann, dass es eine kleine Biene ist.
Der Stich ist relativ schmerzhaft und ich spüre, dass die Zunge leicht
anschwillt. Nun rasen mir schlimme Gedanken durch den Kopf. Was passiert, wenn
die Zunge so dick wird, dass ich keine Luft mehr bekomme? Wie können wir Hilfe
holen? Und was viel wichtiger ist, wer kann Hilfe holen? Timo und Siggi
sprechen nämlich kein Wort einer außerdeutsche Sprache. Frans hat gesagt, dass
er spanisch spricht und erzählte vorher, dass er sich damit in Frankreich sehr
gut verständlich machen konnte. Aber wir sind mitten in der Prärie. Ein Notarzt
oder Rettungswagen würde ziemlich lange brauchen, um uns zu erreichen. Im
Notfall könnte man vielleicht an einem Haus klingeln und um etwas Eis zum
Kühlen bitten. Aber das ist nicht nötig. Nur die Einstichstelle ist etwas
geschwollen und es wird nicht schlimmer. Entweder haben wir Glück gehabt oder
es passt jemand gut auf uns auf. Wir sind während dieser Aktion immer weiter
gefahren. So ist der Abstand zu meinen Pilgerbrüdern bedrohlich groß geworden.
Daher sage ich Frans, dass ich
langsamer machen muss, weil die beiden sonst den Anschluss verlieren. Die
Navigation mache ja ich. Frans will aber nicht langsamer fahren und so trennen
sich vorläufig unsere Wege.
Nach gefahrenen 60 Kilometern
ziehen wir eine kurze Zwischenbilanz und halten fest, dass wir bis dahin zwar
einige Berge auf dem Weg hatten, die unserem Vorwärtsdrang jedoch nicht
wirklich entgegen standen, denn wir sind gut und relativ schnell voran
gekommen. Und, was noch viel wichtiger ist, wir hatten heute noch keine Panne.
Kurz vor der Ortschaft Charroux überholen wir Frans wieder. Der macht gerade
eine Pause und will in dem Ort übernachten. Uns zieht es aber weiter. So
verabschieden wir uns erneut und wünschen einander einen „Buen Camino“.
Beim Tachostand von 80
Tageskilometern machen wir an einer Sitzgruppe nahe eines Flusslaufs in der
Nähe eines kleinen schönen Ortes eine Pause. Die Fahrräder stellen wir an den
dortigen Zaun und genießen die Sonne. Diese Pause wird richtig zelebriert, denn
kurz zuvor gab es eine rauschende Abfahrt mit Steilwandkurven, die wir förmlich
herunter geflogen sind. Und dann natürlich deutlich langsamer wieder steil nach
oben den nächsten Berg hinauf. In diesem Moment ist auch noch alles in Ordnung
und wir sind mit der Welt und die Welt, so scheint es, auch mit uns, sehr
zufrieden.
Bei der Weiterfahrt stellt Timo
dann aber fest, dass sein Vorderreifen entlüftet ist. Also Boxenstopp und Rad
ausbauen, Schlauch ziehen und durch einen Ersatzschlauch ersetzen. Die undichte
Stelle im kaputten Schlauch sucht Siggi am Ufer des Flusses. Hier gibt es
Wasser, ohne dass jemand einen Becher auf den Abfluss halten muss. Der Fahrradschlauch
wird von mir noch schnell geflickt und für den nächsten Gebrauch
zusammengerollt in die Lenkertasche gepackt.
Nach etwa 90 Kilometern haben
Siggi und ich eine Auszeit. In einer total verlassenen Gegend stehen ein paar
verfallene Häuser. Um diese herum ist alles sehr ungepflegt und wenig
einladend. An einer Kreuzung fahren wir aus lauter Paddeligkeit und obwohl die
blaue Linie des Navis es anders anzeigt, statt nach links abzubiegen nach
rechts. An dem letzten Haus angekommen, versperrt uns ein kleiner zotteliger,
aber um so giftigerer
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