Den Jakobsweg erfahren
völlig euphorisch, das Ziel beinahe vor Augen zu haben. Dann ist
es so spät geworden, dass wir uns auf den Weg zurück zur Herberge machen
müssen. Es war ein schöner Abend.
Vor uns gehen zwei Chinesinnen.
Die eine ist mächtig fußkrank und kann kaum noch laufen. Warum macht man sowas?
Als wir vorbeigehen, drücke ich der gesunden mein Mitleid aus. Sie scheint uns
schon einmal gesehen zu haben, denn sie zeigt auf mich, macht kreisende
Handbewegungen und gibt mir dann einen kleinen Klaps auf den Hintern. Ich zeige
ihr, dass ich da auch Schmerzen habe. Die sind während der Tour zwar schon
deutlich abgeklungen, weil die Tagesetappen deutlich kürzer und damit die Verweilzeiten
im Sattel nicht mehr so lang sind, aber zwei geldstückgroße blaue Beulen, die
habe ich.
Heute legen wir uns früher auf die
Matte. Der Engländer ist immer noch mit dem Packen beschäftigt, legt sich aber
irgendwann auch schlafen.
41 gefahrene km, gesamt 2480,8 km
3:30 gefahrene Zeit, gesamt 154:15
Stunden
12,1 km/h
Durchschnittsgeschwindigkeit
17.05.2012
Donnerstag
Tag 27
Sarria (E) – Melide (E)
Um 05:00 Uhr werde ich wach.
Gegenüber von meinem Bett brennt eine Taschenlampe und jemand kramt in seinem
Rucksack herum. Der Engländer. Das kann nicht wahr sein, denke ich und drehe
mich um. Als er sich seine Sachen angezogen hat, läd er sich den Rucksack auf
und verschwindet wortlos. Ruhe kehrt wieder ein und ich schlafe wieder ein.
Um 08:00 Uhr werde ich wieder
wach. Die Sonne scheint, also raus aus den Federn. Beim Aufstehen planen wir,
wohin es heute gehen soll. Das ist Premiere, denn seit dem wir in Saint-Jean-Pied-de-Port
gestartet sind, haben wir das nicht mehr gemacht. Eigentlich wollen wir am
Samstag in Santiago ankommen. Weil der Schwabe gestern gesagt hat, dass es am
Samstag regnen soll, wäre der Samstag als „Ankommtag“ nicht so toll. Vielleicht
schaffen wir es ja schon am Freitag in Santiago zu sein. Dann müssen wir die
Tagesetappe wieder ein wenig ausweiten.
Nachdem wir uns frisch gemacht haben, werden die Räder beladen und nach
draußen geschoben. Es ist schon warm. Große Besuchergruppen zwängen sich durch
den Ort. Wir bahnen uns vorsichtig den Weg durch die Menschentrauben. Mein
Vorschlag, in dem Lokal von gestern das Frühstück einzunehmen wird von den
Beiden verworfen. Am Ortsrand liegt ein Kloster, das Convento
de la Magdalena, wir hoffen auf einen Stempel, das wird aber leider nichts. So
geht es ohne Frühstück und ohne Stempel aus den Ort in den Wald hinein.
Nachdem wir über die Brücke des
Rio Pequeno gefahren sind, geht es auf schönen Waldwegen weiter. Die Schönheit
hat leider einen Haken: Es geht für uns meist sehr steil berghoch. An Fahren
ist nicht zu denken. Nach einer besonders steilen Anhöhe werden wir
aufgemuntert: Oben stehen drei Fußpilger und zeigen uns ihre erhobenen Daumen
entgegen. Als wir schweißgebadet bei ihnen ankommen danke ich für den
Motivationsschub. Gut, dass im Magen noch nichts drin ist, so kann auch nichts
herauskommen.
Als wir aus dem Wald über Feldwege
weiterfahren, sehen wir sehr viele Buspilger. Die Wege sind schmal und deswegen
dauert es sehr lange, bis wir uns an die Gruppen vorbeischlängeln können. Im
Gegensatz zu anderen Fahrradpilgern sprechen wir die Fußpilger ruhig und
vorsichtig an und fahren, wenn sie uns Platz machen, langsam vorbei. Wir haben
auf dem Camino häufig andere Radgruppen gesehen, die von Weitem laut klingelnd
in atemberaubender Geschwindigkeit Fußpilger passieren. Die haben sich manchmal
mit einem Sprung zur Seite in Sicherheit bringen müssen. So machen wir das
nicht. Das hat man uns auf dem Pilgerseminar ans Herz gelegt.
In Barbadelo wollen wir an einem
Café frühstücken. Die Hütte ist mit Pilgern prall gefüllt. Wir zwängen uns
hinein und ergattern noch einen Platz an einem Tisch. Ich bestelle das Übliche
und will die Kaffeetassen zu den beiden Freunden geben, als mir beinahe eine
Tasse von der Untertasse in Richtung einer amerikanischen Pilgerin schießt. Ich
kann das Geschirr und die Dame gerade noch so vor einem Unheil retten und
entschuldige mich höflich für den Schreck, den ich ihr am frühen Morgen
eingejagt habe. Dann lassen wir es uns schmecken. Als Wegzehrung nehmen wir
jeder ein Mars, ein Getränk und eine Banane, Timo stattdessen eine Apfelsine,
mit. Danach warten wir die Räder, denn mit etwas Öl auf der Kette radelt es
sich leichter. So geht es dann weiter.
Die Strecke ist sehr schön und es
ist flach,
Weitere Kostenlose Bücher