Den Löwen Zum Frass
Bescheidenheit.« Er konnte sich auf Gossenniveau begeben, wenn er musste. Aber zu hoffen, dass er ewig so leben würde, war zu viel verlangt, und ich suchte jetzt nach Beständigkeit. »Innerhalb gewisser Grenzen ist das eine reizvolle Idee.«
»Darf ich fragen, wie die Grenzen ausschauen?«
»Was glaubst du wohl?«
Er sah der Wahrheit mit der für ihn üblichen schonungslosen Offenheit ins Gesicht. »Dass ich nicht weiß, wie man ein so spartanisches Leben führt. Ich kann nicht mit den richtigen Leuten reden. Ich hab keine Erfahrung, Situationen einzuschätzen, keine Autorität - in der Tat keine Hoffnung.«
»Fang ganz unten an!«, meinte ich lachend.
»Aber ich habe auch gewisse Fähigkeiten zu bieten«, witzelte er zurück. »Wie du weißt, kann ich eine Zeichnung interpretieren, auch wenn sie ungenau ist, kann Punisch sprechen und eine Militärtrompete blasen, wenn es darauf ankommt.«
»Sauberer, sanftmütiger Bursche mit Sinn für Humor sucht Stellung in eingeführter Firma . Ich kann dich nicht bei uns zu Hause unterbringen. Aber würdest du dich mit einer Junggesellenbude der primitivsten, unbequemsten Art abfinden? Bis wir heimkommen, hat sich mein alter Freund Pet- ronius bestimmt eine neue Frau angelacht, und du könntest an der Brunnenpromenade unterkommen.«
»Da, wo du früher gewohnt hast?« Justinus klang nervös. Er musste gehört haben, wie trostlos meine alte Wohnung war.
»Hör zu, wenn du mit mir arbeiten willst, musst du aus der Patriziergesellschaft aussteigen. Ich kann nichts mit einem Botenjungen anfangen, der alle fünf Minuten für eine frische Tunika nach Hause zu Mama läuft.«
»Nein, das verstehe ich.«
»Gut. Ich sag dir was: Wenn du wirklich bereit bist, in Schmutz und Elend zu leben, für fast nichts zu arbeiten und dich zum Trost nur manchmal zusammenschlagen zu lassen, bin ich bereit, es mit dir zu versuchen.«
»Danke.«
»Schon gut. Wenn du dich bewähren willst, kannst du gleich anfangen. Wie bringt man Frauen am besten eine Katastrophe bei? Indem man einen echten Wummer in der Hinterhand behält. Fangen sie an, über das verlorene Silphion zu heulen, sagen wir ihnen, dass wir jetzt als Partner zusammenarbeiten. Das muntert sie dann gleich wieder auf .«
»Und wie willst du Helena und Claudia von dem Silphion erzählen?«
»Gar nicht«, sagte ich. »Das machst du. Bei einer Zusammenarbeit mit mir passiert Folgendes: Der Junior geht rein und bringt sie zum Weinen - und dann komme ich, wirke männlich und verlässlich und wische ihnen die Tränen ab.«
Das war natürlich nur Spaß. Ich war mir gewiss, dass Helena und Claudia uns für verrückt gehalten hatten, auf die Suche nach dem Silphion zu gehen, und nicht im Mindesten überrascht sein würden, wenn wir mit leeren Händen zurückkehrten.
Wir brauchten lange, um sie zu finden. Die kultivierte griechische Stadt Kyrene erstreckte sich über ein gewaltiges Areal und hatte drei verschiedene Zentren. Im Nordosten lag das Heiligtum des Apollo, wo eine heilige Quelle über eine Felswand in ein lor- beerumkränztes Becken stürzte. Im Nordwesten stand der mächtige Zeustempel. Im Südosten befanden sich die Akropolis und die Agora plus anderer Charakteristika hellenistischer Ansiedlungen, denen man all die Attribute eines großartigen römischen Zentrums hinzugefügt hatte. Dies war eine große Stadt mit hohen Ansprüchen, von denen nur wenige wirklich gerechtfertigt waren.
Wir suchten das Verwaltungszentrum auf. Es gab ein quadratisches, hübsch angelegtes Forum, umschlossen von einer Kolonnade mit dorischen Säulen, und in der Mitte stand anstatt des formellen imperialen Monuments im augustäischen Stil, wie man sie in modernen römischen Städten findet, ein schamloser Bacchustempel (dessen Priester keine Nachricht für uns hatten). Keiner der Griechen und einheimischen Libyer, die fröhlich in der Basilika herumwieselten, hatte von Helena oder Claudia gehört, wofür wir wahrscheinlich dankbar sein sollten. Wir gingen die Battusstraße entlang, benannt nach dem Gründerkönig der Stadt, kamen an einem sehr kleinen römischen Theater vorbei, blieben stehen, um zuzuschauen, wie sich zwei rot gestreifte Schnecken eifrigst begatteten, und sahen das griechische Theater mit den breiten, kalten Sitzen für die dicken Hinterteile der städtischen Elite.
Dann gingen wir weiter zur Agora. Dort fanden wir unsere Mädchen auch nicht, hatten aber Gelegenheit, ein Marinemonument zu bewundern, bestehend aus Schiffsbugs und
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