Den Löwen Zum Frass
vorgelagerte Ebene hatte. Die Aussicht war atemberaubend. Irgendein schlauer Architekt hatte die tolle Idee gehabt, ein Amphitheater an den Rand des Hochlandes zu bauen, das in bedenklicher Weise über dem fantastischen Ausblick thronte und meiner Meinung nach nur darauf wartete, in den Abgrund zu stürzen.
Wir kletterten alle hinauf und setzten uns in eine Mittelreihe, am weitesten entfernt von den Seiten. Bei mir waren Helena, Claudia, Justinus, Gaius, das Baby und sogar Nux, die neben mir auf der Steinbank hockte und wie wir alle darauf wartete, dass da unten etwas geschah. Sonst war niemand da, aber wir hofften, hier jemanden zu treffen. Das war mein Grund, hier zu sein. Das Quellwasser konnte mir gestohlen bleiben. Ich hatte eine Verabredung mit meinem neuen Klienten.
Offenbar war es ein scheuer Mensch. Das war mal was anderes. Eine Frau, angeblich ehrbar und auf bescheidene Weise zu zurückhaltend, ihre Adresse bekannt zu geben. Wie drollig.
Ich wusste, dass es nur eine vorübergehende Adresse sein konnte, wie unsere, da sie keine Kyrenerin war. Ich glaubte außerdem, dass das Geheimnis einer »geheimnisvollen Frau« normalerweise darin bestand, wie es ein so skandalöses Wesen geschafft hatte, nicht im Gefängnis zu landen. Aber Helena hatte von mir verlangt, die mysteriöse Dame mit Respekt zu behandeln.
Die Klientin war so beeindruckt von meinem Ruf, dass sie mir von Rom aus hierher gefolgt war. Was nur bedeuten konnte, dass sie mehr Geld als Verstand besaß. Keine Frau, die auf ihr Haushaltsgeld achtete, würde über das Mittelmeer reisen, um sich mit einem Privatermittler zu treffen - und schon gar nicht ohne die Zusicherung, dass er bereit war, für sie zu arbeiten. Kein Ermittler war das wert, was ich allerdings für mich behielt.
Helena sagte, es habe von vornherein festgestanden, dass ich den Fall übernehmen würde. Aber Helena wusste auch, wer die Klientin war.
»Du solltest es mir verraten.« Ich fragte mich, ob sie so geheimnisvoll blieb, weil die Klientin fabelhaft aussah. Nein, in dem Fall hätte Helena ihr gesagt, sie solle sich zum Hades scheren.
»Ich will deinen Gesichtsausdruck sehen.«
»Sie kommt bestimmt nicht.«
»Ich glaube doch«, entgegnete Helena.
Die Sonne brannte auf das leere Theater herunter. Auch hier roch es wieder sehr aromatisch, ein weiterer Ort in dem himmlischen Kräutergarten der Cy- renaika. Ich kaute auf wilden Dillsamen. Sie hatten einen beißenden, etwas bitteren Geschmack, was meiner Stimmung entsprach.
Wir standen kurz vor der Heimreise. Die Entscheidung war gefallen, wenn auch meinerseits mit gemischten Gefühlen.
Gaius, der in Rom die meiste Zeit damit verbrachte, seiner Familie zu entfliehen, vermisste sie hier auf perverse Weise. Wir waren zu nett zu ihm. Er brauchte Menschen, die er hassen konnte. Helena und ich hatten unseren Aufenthalt genossen, waren aber für einen Szenenwechsel bereit. Außerdem lockte mich eine große Geldsumme nach Hause, wo sich Vespasi- an doch nun endlich zur Zahlung durchgerungen hatte. Justinus musste sich mit seiner Familie auseinander setzen. Claudia wollte sich mit der ihren aussöhnen und hatte steif erklärt, sie werde zu ihren Großeltern nach Spanien zurückkehren - offenbar ohne Justinus.
Nachdem das gesagt war, hatte ich am gestrigen Abend bemerkt, dass Claudia und Justinus sich zum Abendessen auf dieselbe Bank setzten. Irgendwann hatten ihre nackten Arme nebeneinander auf dem Tisch gelegen, sich beinahe berührt. Das Prickeln des
Bewusstseins füreinander war deutlich spürbar gewesen. Zumindest hatte die Stille des Mädchens für ihre Intensität gesprochen. Was er empfand, blieb verborgen. Kluger Junge.
Jetzt war es früher Nachmittag. Wir saßen schon seit einer Stunde im Theater. Lange genug, um auf eine Klientin zu warten, deren Motive ich anzweifelte, wenn ich andere dringende Aufgaben zu erledigen hatte. Ich musste nach Apollonia, den aufgeregten Famia retten und ihm helfen, eine anständige Transportmöglichkeit für die Pferde der Grünen zu finden. Ich war drauf und dran, in unser Quartier zurückzukehren, doch die friedliche Stimmung hier hielt mich davon ab, mich sofort in Bewegung zu setzen.
Die anderen wurden allmählich ebenfalls unruhig. Niemand sagte es, aber auch sie dachten inzwischen wohl, dass die Klientin eine Niete war. Wenn wir dieses Geschäft sausen ließen, mussten wir nur noch unsere Siebensachen zusammenpacken. Das Abenteuer war für uns alle zu Ende.
Camillus Justinus wandte
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