Den Löwen Zum Frass
der Tunnelwand nahe dem Ausgang zum Stadion gefunden. Seither hatte sie keinen Laut von sich gegeben. Blut hatte ihre Kleidung durchtränkt und breitete sich jetzt auf dem sandigen Boden aus. Jemand hatte ihr
die Kehle aufgeschlitzt. Offenbar hatte sie den Angriff kommen sehen und versucht ihn abzuwehren. Ihre Hände und Arme wiesen ebenfalls Schnitte auf, und sie hatte sogar einen tiefen Kratzer auf der Wange. Der langen Spur der Bluttropfen nach zu schließen, war sie vom Stadion aus hierher gewankt und hatte ihre marineblaue Stola gegen die Halswunde gepresst, um die Blutung zu stillen.
Jetzt schwanden ihre Lebensgeister rasch, obwohl Iddibal das nicht hinnehmen wollte. Ich wusste, dass Myrrah das Bewusstsein nicht wiedererlangen würde.
»Warum war sie hier?«, bedrängte ich ihn ein zweites Mal.
»Unser Anfänger wird im Stadion auf den Kampf vorbereitet.«
»Warum im Stadion?«
»Aus Geheimhaltungsgründen.«
Justinus berührte meinen Arm und machte sich auf die Suche.
»Wer ist euer Kämpfer?« Der entsetzte Neffe war schlaff zusammengesunken. »Wer, Iddibal?«
»Nur ein Sklave.«
»Wessen Sklave?«
»Einer von Tante Myrrahs, gegen den sie eine Abneigung gefasst hatte. Niemand. Nur ein Niemand.«
Ich zerrte Iddibal hoch und drückte ihn gegen die Wand. Dann lockerte ich meinen Griff, um freundlicher zu wirken. Er war festlich gekleidet, noch farbenfreudiger als bei unserer letzten Begegnung. Eine lange Tunika in Grün und Safran. Ein breiter Gürtel. Zwei Ringe und eine Goldkette.
»Was für eine hübsche Kette, Iddibal.« Die Machart kam mir bekannt vor. »Hast du noch mehr davon zu Hause?«
Verwirrt und aufgewühlt, antwortete er wie betäubt: »Das ist nicht meine Lieblingskette. Die hab ich verloren, als das alles anfing .«
»Wann und wie?«
»In Rom.«
»Wo dort, Iddibal?«
»Ich hab meine besten Sachen bei meiner Tante gelassen, als ich mich bei Calliopus verpflichtete .« Noch immer reckte er den Hals, um an mir vorbeizuschauen und zu sehen, was der Arzt mit seiner Tante machte. »Nachdem ich freigekauft worden war, merkte ich, dass ich die Kette nicht mehr hatte.«
»Was hat deine Tante gesagt?«
»Sie nahm an, jemand hätte sie gestohlen. Der einzige Verdächtige war der Sklave, den wir heute in den Ring schicken. Das hat Tante Myrrah gestern Abend Vater und mir erzählt, als sie vorschlug, ihn für den Kampf einzusetzen.«
»Ja, Diebstahl klingt wie ein guter Grund, ihn loszuwerden.«
Ich war überzeugt davon, dass Myrrah noch ein ganz anderes Motiv gehabt hatte. Mich überkam ein düsteres Gefühl wegen dieses so genannten Diebes, und ich meinte zu erahnen, was Myrrah wirklich
über die Kette ihres Neffen wusste. Ich zupfte an der, die Iddibal jetzt trug. »Sie war im gleichen Stil gefertigt wie diese, oder? Die Kette, die du in Rom verloren hast?«
»Sehr ähnlich.«
»Vielleicht hab ich sie mal gesehen.«
Das brachte ihn zur Besinnung. Mein Unheil verkündender Ton hatte ihn aufgerüttelt. »Wer hatte sie?«
»Jemand hat sie Rumex gegeben, in der Nacht, als er ermordet wurde.«
Iddibal wirkte erstaunt. »Wie kann das sein?«
Der Arzt, der sich um Myrrah gekümmert hatte, erhob sich.
»Sie ist tot«, rief er. Iddibal ließ mich stehen und eilte zu der Leiche. Der Arzt hielt einen Gegenstand in der Hand, den er verborgen in Myrrahs Kleidung gefunden hatte. Da der Neffe untröstlich zu sein schien, gab der Arzt mir das Fundstück.
Ein kleines Messer mit Knochengriff und gerader Klinge, wie es ein Haussklave zum Schärfen der Stili benutzen würde.
»Hast du das schon mal gesehen, Iddibal?«
»Ich weiß nicht. Ist mir auch egal. Um Himmels willen, Falco, lassen Sie mich in Ruhe!«
Justinus kam zurück.
»Marcus.« Er trat nahe an mich heran und sprach leise. »Sie haben ein Areal abgesteckt, wo sie ihren Anfänger vor der Öffentlichkeit verbergen. Ich bestand darauf, ihn zu sehen. Er macht nicht viel her.
Sitzt still in seiner Rüstung da, in einem kleinen Zelt.«
»Allein?«
»Ja. Aber Myrrah war vor kurzem bei ihm. Die Helfer sitzen draußen beim Würfeln und haben nicht weiter darauf geachtet. Anscheinend war er ihr Sklave. Sie haben Myrrah gehen sehen, mit verhülltem Kopf, in Richtung des Tunnels. Sie haben sich nichts dabei gedacht.«
»Hast du erwähnt, dass sie verletzt ist?«
»Nein.«
»Wie lautet der Name ihres Gladiators?«
»Fidelis, sagen sie.«
»Das habe ich mir gedacht!«
Iddibal schaute auf. Mit tränenüberströmtem Gesicht und
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