Den Löwen Zum Frass
genervt, als wäre die Angelegenheit für uns alle unangenehm. »Die Sache hat höchstwahrscheinlich nichts mit uns zu tun, aber wenn so etwas passiert, während wir eine Ermittlung für den Zensus durchführen, müssen wir den Ort des Geschehens überprüfen.«
Was eine dreiste Lüge war.
Die Muskelprotze in ihren ledernen Lendenschurzen waren es nicht gewöhnt, mit verschlagenen Beamten fertig zu werden. Sie waren darauf trainiert, genau das zu tun, was man ihnen sagte. Sie schickten einen Jungen zu dem Mann, der die Schlüssel in Verwahrung hatte. Der dachte, Saturninus hätte ihn gerufen, und kam unterwürfig angetrabt. Alle warfen sich zweifelnde Blicke zu, aber es schien am einfachsten, unserem Verlangen nachzugeben, hinterher schnell wieder abzuschließen und so zu tun, als wäre nichts passiert.
Und so bekamen wir - durch unseren Bluff und ihre Unfähigkeit - Zugang zum Quartier des Toten. Ohne uns groß anzustrengen, selbst wenn es sich um einen Mord handelte. Ich fragte mich, ob jemand gestern Nacht dieselbe Taktik angewandt hatte.
Als wir eintraten, war Rumex zu unserer Überraschung immer noch da.
Dadurch hatten Anacrites und ich eine größere Chance als gewöhnlich, unsere Partnerschaft wirksam zum Einsatz zu bringen. Wir waren beide Profis, erkannten beide, wenn es galt, rasch zu handeln. Wir mussten gemeinsam vorgehen. Falls sich Satur- ninus auf dem Gelände befand, konnte er jeden Augenblick von unserem Eintreffen hören und sich uns in den Weg stellen. Ich fing Anacrites' Blick auf. Wir mussten in aller Eile nach Hinweisen suchen, uns Notizen machen, jeder als Zeuge für das dienen, was der andere fand. Uns blieb nur diese eine Chance. Fehler durften wir nicht begehen.
Wir hatten keine winzige Zelle mit einer mit Stroh bedeckten Pritsche betreten - zu mehr brachten es die meisten Gladiatoren nicht -, sondern einen hohen Raum von etwa zehn Fuß im Quadrat. Die einst kahlen Wände waren in sattem dunklem Rot gestrichen und vollkommen mit Graffitiszenen aus der Arena bedeckt. Strichmänner mit Schwertern jagten einander, schlugen aufeinander ein, fielen zu Boden und starrten mit stummem Flehen zueinander hoch. Lebhafte Kampfszenen zogen sich über die Wände und den oberen Fries. Thraker ließen ihre Köpfe hängen und starben über dem Sockel; darunter wurden Murmillio leblos aus der Arena gezerrt, während Rhadamanthus, König der Unterwelt, in seiner schnabelbewehrten Maske alles überwachte, begleitet von Hermes mit seinem Schlangenstab.
Rumex hatte eine Menge Zeug besessen. Rüstung und Waffen wurden von seinem Herrn aufbewahrt, aber er hatte jede Menge Geschenke erhalten. Ein ägyptischer Teppich in leuchtenden Farben, den sich die meisten Leute als kostbaren Wandbehang aufgehängt hätten, lag verknautscht und abgetreten auf dem Boden. Abgesehen vom Bett, bestand die Möblierung aus gewaltigen Truhen, teilweise offen, aus denen Berge von Tuniken, Umhängen und anderer Kleidung herausquollen, vermutlich alle von Bewunderern gespendet. Auf einem Dreifuß gab ein kleinerer Kasten den Blick auf Goldketten und Arm- und Halsreifen frei. Fein ziselierte Kelche standen auf blank polierten Tabletts neben schrecklich geschmacklosen, wenn auch mit teuren Edelsteinen verzierten Bechern. Da sich Saturninus bestimmt den größten Teil der Liebesgaben für seinen Helden unter den Nagel gerissen hatte, mussten die ursprünglichen Erträge gewaltig gewesen sein. (Eine reizvolle Aussicht für uns Revisoren, da nichts davon in den Konten des Lanista aufgetaucht war.)
Die beiden Gladiatoren und der Schlüsselbewahrer beobachteten uns von der Tür aus und wurden allmählich nervös. Anacrites holte eine Notiztafel heraus und schrieb trotz seiner gelangweilten Miene in größter Eile. Er listete die Sachen auf. Ich nickte und trat an das Bett, wie ein neugieriger Bewunderer.
Rumex lag auf dem Rücken, als schliefe er. Er trug nur eine einfache weiße Tunika, wahrscheinlich bloß zum Unterziehen gedacht. Ein Arm war leicht gebogen, als hätte er sich auf dem Ellbogen aufgestützt, wäre aber im Sterben zurückgefallen. Sein großer Kopf war mir zugewandt. Er lag auf der Art von Decke, unter der sich kaiserliche Prinzessinnen an ihre Liebhaber schmiegen. Die dicken Noppen mussten ihn hinten am Hals kitzeln.
Der Hals war es, der meine Aufmerksamkeit erregte. Eine schwere Goldkette lag darum, aber nicht die mit dem Namensplättchen, die ich ihn bei unserer letzten Begegnung hatte tragen sehen. Diese hier war
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