Den Oridongo hinauf (German Edition)
junge Frau. Hier hat sie gelegen und das gehört, was ich jetzt jeden Tag höre, die Schreie der Möwen, den heulenden Wind. Das Maschinendröhnen der Hurtigrute, die Wellen, die gegen das Ufer schlagen. Aber während ich hier liege, mit einem überwältigenden Gefühl, endlich nach Hause gekommen zu sein, endlich mein Leben an Land gebracht zu haben, hat sie hier gelegen mit ihren Sehnsüchten danach, die Insel zu verlassen, ja, sogar den Landesteil, sie hat sich die breiten Straßen in Oslo vorgestellt, das Schloss und das Parlament, sie hat sich in die Restaurants und Theater der Stadt hineinfantasiert, zusammen mit neuen und interessanten Freunden, Stadtfreunden, um nicht zu sagen, Stadtmännern, vielleicht übrigens nur einem Einzigen von der Sorte, denn sie streicht doch nicht wie eine läufige Hündin durch die Hauptstadt, dagegen ist sie hier oben sicher geimpft worden. Nur sie selbst und der Stadtmann. Ein einzelnes Glas Wein. Eine Arbeitsstelle. Eine Wohnung. Später, ein Kind. Ein normales Familienleben, aber in der Stadt, in Oslo, mit seinen Warenhäusern mit dem überwältigenden Angebot, ja, Steen & Strøm und Rolltreppen, und mit Männern, die sich benehmen können, die sich nicht in aller Öffentlichkeit in der Nase bohren, oder an noch anderen und schlimmeren Stellen, Männern mit Stil und Manieren. Und ist es nicht natürlich, denke ich. Dass du solche Tagträume über die leuchtende Stadt träumst, wenn du hier oben in Wind und Dunkelheit geboren und aufgewachsen bist, mit einem weiten Weg zum Laden, wo die anderen stehen und über dich herziehen, oder vielleicht sogar deine eigenen Eltern, da stehen sie und zerreißen sich das Maul, und wenn du hereinkommst, verstummen alle, vielleicht kichert nur die Frau an der Kasse ganz vorsichtig. Ist es da nicht natürlich, sich in die Stadt zu träumen, nach Oslo, mit seinem unbegrenzten Warenangebot und seiner wunderbaren Anonymität. Doch. Das verstehe ich. Ich verstehe ihre Sehnsucht nach hochhackigen Schuhen und Sommerkleidern schon im Mai, Sonnenschein mitten im Winter und der urbanen Gemeinschaft. Aber wenn ich versuche, mich mir selbst als kleinen Knaben in diesem Bett vorzustellen, ja, von mir aus auch als jungen Mann, geboren und aufgewachsen hier oben auf einer Insel im Meer – ja, dann würde ich nicht so denken wie sie. Nein, ich bin ganz sicher, dass das nicht der Fall sein würde. Wenn ich hier in diesem Zimmer gelegen hätte, zum Beispiel mit einem Comic oder einem Abenteuerbuch, während der Sturm am Haus riss und zerrte, und während meine Eltern unten saßen und Radio hörten, dann hätte ich im Gegenteil gedacht: Hier will ich bleiben. Ich will immer hier sein. Wenn meine Eltern sterben, werde ich sie in den kargen Boden hinter der Kirche legen, und wenn der Pastor seinen und ich meinen Spruch aufgesagt haben, werde ich zu diesem Haus hier zurückkehren. Allein oder zusammen mit einer Frau. Darauf kommt es nicht so sehr an. Ich werde draußen in der Scheune Holz hacken und es sorgfältig bis zur Decke hoch stapeln, ich werde meine eigenen Mahlzeiten und meinen eigenen Kaffee kochen, und dann werde ich mich in den Schaukelstuhl am Ofen setzen und den Wetterbericht hören. Oder dem fernen Lärm lauschen, aus dem großen Studio in Oslo. Ich werde wissen, da unten sind sie, da sitzen sie und klatschen in die Hände, ich aber lege meine in den Schoß, auf einer Insel im Meer.
Ja. Das weiß ich. Denn das dachte ich, das war mir sofort klar, als ich hierher nach Viken kam, in diesem Haus, das Berit und Magne Berits Onkel Bernt abgekauft hatten, dass vieles und allerlei so ganz anders hätte kommen können, wenn ich nur in dieser kargen Landschaft hier im Norden geboren worden wäre. Ich hätte keine großen Träume gehabt. Ich hätte garantiert nur den Traum gehabt, hier in Ruhe und Frieden meinen eigenen Kram machen zu dürfen.
Aber daran hat es in der Stadt gefehlt. An Ruhe und Frieden. Mein eigener Kram wurde zu einer öffentlichen Angelegenheit.
Die Hurtigrute. Da draußen in der Dunkelheit auf dem Weg nach Norden. Das Geräusch der großen Motoren. Die Wellen, die gegen die Ebbesteine schlagen, wenn das Schiff den engen Sund passiert. Ich bin so schläfrig. Halb denke ich, halb träume ich, ich liege wieder auf der Pritsche in der abgeschlossenen Kabine, es ist so heiß und eng und ungesund, und als der Schlaf mich endlich auf die andere Seite holt, sehe ich durch die Schiffswände den grünen Dschungel, und den schwarzen Strom, der uns
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