Den Oridongo hinauf (German Edition)
hier eintraf und mich schon entschieden hatte zu bleiben. Das war vielleicht voreilig, da ich vorher nicht mit Berit darüber gesprochen hatte, jedenfalls nicht so gründlich, wie es nötig gewesen wäre, aber es kam mir so vor, als hätte ich keine Wahl. Während der ganzen Reise, mit Zug und Bus und Fähre, dachte ich, dass ich es nicht ertragen könnte, noch länger an dem Ort zu bleiben, der für mich Nirgendwo war. Ich musste in ein Haus kommen, wie einer, der durch eine Winternacht stolpert: Zu einem gewissen Zeitpunkt braucht man Wände um sich herum, ein Dach über dem Kopf, Boden unter den Füßen – sonst erfriert man. Die Lage war ernst.
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Ich gehe durch das feuchte Gras , durch die Moore mit Heidekraut und Zwergbirken, und es gurgelt und schwappt, wenn ich deine alten Gummistiefel aus dem schwefeldunstenden Boden ziehe: Hier und dort liegen Perlmutthäute über den Pfützen, wie Benzinflecken, aber es ist die eigene Chemie des Bodens; das habe ich gelernt, Magne, ich habe gelernt, Wollgras und Sonnentau bei ihrem richtigen Namen zu nennen, wie auch Goldregenpfeifer und Schmarotzerraubmöwe, ich gehe hier ganz allein unter dem Tryndanut einher, aber in deinen Fußspuren, und folge den Wegen, denen du selbst gefolgt bist, als du noch in Fleisch und Blut geweilt hast, damals, als du sie die ganze Nacht hindurch in deinen starken Armen halten konntest, so, wie sie jetzt die ganze Nacht hindurch mich in ihren starken Armen hält, und in regelmäßigen Abständen stehen wir aus demselben Bett auf und gehen über den fast unsichtbaren Weg hinter den höchstgelegenen Höfen, es ist der Weg, den du Berit gezeigt hast und den sie mir später gezeigt hat, einmal, als mich die Unruhe überkam, ja, hier sind wir jetzt zusammen unterwegs, aber in einer unsichtbaren Gemeinschaft, von der nur du und ich etwas wissen. So ist es mit uns geworden.
Und als ich die halbe Strecke zu dem Plateau hinter mich gebracht habe, wo das Tryndavatn wie ein blauer Halbmond im Heidekraut liegt, setze ich mich auf den Stein, dort, wo der Bach sich teilt, und esse meinen Proviant aus der Brotdose, deren Farbe du verschlissen hast, die du zu Arbeit und Wanderungen mitgenommen hast, nur an den Scharnieren sind noch Streifen von Grün zu ahnen, halb verwischter Lack, und wie viele tausend Mal hast du diese Dose wohl geöffnet und geschlossen, hungrig, satt, hungrig, satt, Jarlsberg-Käse, Fischpudding, Hammelwurst, Fischfrikadellen, Graubrot und Weißbrot, hart gekochte Eier und Kavli-Kaviar, aber keinen Ziegenkäse, den mögen wir nicht.
Verbrauch es bei guter Gesundheit, sage ich jetzt leise zu mir selbst, ich weiß nicht, warum, aber das sage ich eben, während ich mit harzfleckigen Fingern zu dem Brot greife, das Berit gebacken hat, das Brot, das ich selbst geschnitten und mit Wurst und Käse belegt habe, heute gibt es Wurst und Käse ohne Zubehör, ohne saure Gurke oder Paprika, ich suche den reinen Geschmack, habe ihn immer gesucht – und dann gibt es Kaffee aus der Thermoskanne; selbst gekochten Kaffee aus einer selbst geschnitzten Tasse aus von Wind geschundener Birke, einem Stück Holz, das ich unten am Lovatn gefunden und mit deinen Eisen bearbeitet habe, denen, die du in deiner Werkstatt im Keller hinterlassen hast. Und alles schmeckt hier draußen und hier oben viel stärker, Käse, Brot, Wurst und Kaffee, vermischt mit der Luft von Meer und Gebirge, und ich kaue und werde von dieser Natur überwältigt, die mich fast, aber nur fast, an einen milden Schöpfer glauben lässt, ein ästhetisches Genie, das mir bei allem hier wohlwill, dem blanken Meeresspiegel und den Tausenden von Inseln nach Norden und Süden, einer ganzen Welt aus Inseln, unbewohnten Felsen und Inseln mit vielleicht einem einzelnen Hof, vielleicht nur einem Bootsschuppen, oder glatten Steinen, wie Walrücken im Meer, wo der Kormoran sitzt und sich die Flügel trocknet, allein oder in Scharen, und tief unten unter mir: die Straße, die an Viken vorüberführt, und das kleine, weiß angestrichene Haus, das zu meinem Zuhause geworden ist, zu unserem Zuhause, ich kann Fahrrad und Schleifstein sehen, und vor meinem inneren Auge taucht ein klares Bild von ihr auf, wie sie dort unten sitzt und im Schaukelstuhl am Ofen schlummert, während der Kater seine Krallen am Ende des Diwans wetzt, er hält das für sein gutes Recht.
Und ich denke an den Dolmen. An die Riesenforelle, die angeblich irgendwo in der Tiefe des Tryndavatn steht, und die ab und zu (weiterhin
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