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Den Oridongo hinauf (German Edition)

Den Oridongo hinauf (German Edition)

Titel: Den Oridongo hinauf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingvar Ambjørnsen
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die ich aus irgendeinem Grund mit meiner Kindheit verbinde. In der Dämmerung fliegen große Vögel von den Bäumen auf und segeln an uns vorbei und weiter, mit langsamen Flügelschlägen. Alles ist schön und traurig und hoffnungslos, und ich merke, dass ich mit bloßen Füßen auf den abgenutzten Decksbrettern stehe, ich bemerke zudem meine kurze Hose, die Abendbrise streicht über meine nackten Beine. Der Schweiß läuft mir von der Stirn in die Augen. Oder ist das Blut? An Land steht eine Gruppe von Eingeborenen und reißt und zerrt an etwas, das sie aus dem Wasser holen wollen, sie tragen eine seltsame Mischung aus allerlei Uniformen und Zivilkleidung, ich kann ihre feuchten roten Mundhöhlen sehen, als sie reden und lachen, und ich nehme den Gestank des angefahrenen Kronhirsches oben beim Lovatn wahr, den ekelerregenden Geruch von Verwesung, als sie es aus dem Wasser holen, und zugleich, eine Hand auf meiner rechten Schulter. Ein Wille in der Dunkelheit. Ein Vater. Ein Freund. Oder … soll ich nach unten geführt werden? In die Kabine? Ist es denn schon so spät?
    Es ist Tharald in Kapitänsuniform, einer weißen Uniform mit blauen Schnüren und einer Mütze mit blankem Schirm, und als er sich feierlich verabschiedet, sehe ich, dass es doch nicht Tharald ist, es ist nicht mehr Tharald, sondern Horst van der Klerk, der sich für die Gesellschaft bedankt, ehe der Traum ihn in einem kleinen Ruderboot aus Papier ans Ufer trägt. Wo die Eingeborenen ihn jetzt erwarten, mit dem Kadaver vor ihren Füßen, sie stehen ganz still da in ihren seltsamen Kostümen, und ich sehe etwas aufblinken, das einer Machete ähnelt, einem Messer, einem langen Dolch, aber als ich rufen will, van der Klerk warnen, bin ich so stumm, wie man das im Traum oft ist, wo man schreit, das ist in Wirklichkeit.
    Und sie legt den Arm um mich und streichelt meinen Rücken, streichelt meinen nackten Hinterkopf und sagt, dass es nur ein Traum war, dass ich jetzt wieder dumm geträumt habe, und als sie das gesagt hat, schläft sie mit einem kleinen Seufzer ein, aber noch immer den Arm um mich gelegt, und ich bleibe stocksteif liegen, weil ich es bin, der das hier erleben darf.
    Ich überlege nicht länger, was diese Träume wohl bedeuten. Ich glaube, sie bedeuten rein gar nichts. Sie sind nur Zerrbilder, Schlacken von gedachten Gedanken und Taten, eigener und fremder, Ergebnisse des Spiels, das das Gehirn mit sich selbst spielt. Als ich jung war, war das anders. Ich hatte immer schon ein aktives Traumleben, und in wachem Zustand konnte ich mich in den Bildern der Nacht einfach verirren, in all den absurden Situationen, die mein Unterbewusstsein in mir hochspülte, ich glaubte an geheime Botschaften, ich glaubte, jede Nacht in einer anderen Welt zu sein, wo mir wirkliche Wesen begegneten. Und ich hielt mich für den Einzigen, der das begriff. Oder den Einzigen, dem es so erging, weshalb ich das alles verschweigen musste. Weil es sozusagen ein Geheimnis war, das ich mit einem Gott teilte, von dem noch niemand sonst gehört hatte. Eine eingebildete Erkenntnis, die mich oft vor Lachen brüllen lassen konnte, wenn die anderen am wenigsten damit rechneten, denn diese Erkenntnis, ob nun eingebildet oder nicht, ging einher mit einem herrlichen Gefühl von Macht. Da war ich nun unterwegs, auf dem Schulhof oder auf der Straße, und ich wusste, dass ich etwas Besseres war als die, die auf mir herumtrampelten, ja, deshalb taten sie es ja gerade, weil sie ahnten, dass in meiner Andersartigkeit etwas Großartiges lag, in das ich sie keinen Einblick nehmen ließ.
    Als sie sich umdreht und ihren Arm zu sich zieht, stehe ich auf und gehe ins Wohnzimmer, lege ein Birkenscheit in den Ofen und höre, wie es sofort Feuer fängt. Der Kater gönnt mir vom Schaukelstuhl her einen verschlafenen Blick, er hat sich dort für die Nacht zusammengerollt. Ich lege mich auf den alten Diwan und ziehe die Schlummerdecke über mich. Lausche dem Knistern im Ofen, es ist das Feuer, das die Rinde vom Holzscheit reißt, mit Flammen, von denen ich aus Erfahrung weiß, dass sie grün und blau sind. Der Raum ruht im grauen Licht. Ich bin müde, kann aber nicht wieder einschlafen, deshalb komme ich ja her, weil ich weiß, dass ich mich eine oder anderthalb Stunden lang von einer Seite auf die andere drehen werde, ich will ihr meine Unruhe nicht aufzwingen, auch wenn sie immer wieder sagt, dass das keine Rolle spielt, dass es sie nicht stört. Nun gut. Kann schon sein. Aber vielleicht stört

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