Den Oridongo hinauf (German Edition)
Vergangenheit, wie ich das gelernt habe, ich zerquetsche sie unter meinem Absatz und lege einen neuen Priem ein, hier bin ich unter Freunden, und Berit erzählt lachend, wie weit Magnes Anzug ausgelassen werden musste, damit ich darin Platz hätte mit meinem neuen Wohlstandsbauch, von dem sie in aller Vertraulichkeit sagt, dass er gerade die richtige Größe hat, das flüstert sie in manchen Nächten, wenn wir zu Bett gegangen sind, es ist nämlich so, dass mein Bauch genau in die kleine Vertiefung in ihrem Kreuz passt, aber natürlich darf ich im Moment nicht daran denken, damit ich mich nicht blamiere, wenn ich gleich unten am Anleger aus dem Auto steigen muss.
Es ist zum Glück nicht ganz wie am Nationalfeiertag, eher wie an einem normalen Samstag, auch wenn jetzt eben Freitag ist, Menschengruppen stehen plaudernd herum und glotzen auf den Fjord hinaus, und dann alle Kinder, natürlich, die Kinder aus Kindergarten und Grundschule. Das gefällt mir, es macht mir Freude, die vielen Kleinen anzusehen, die zusammen mit Lehrern und Kindergartenpersonal erschienen sind, um die niederländischen Kinder auf Vaksøy willkommen zu heißen, denn es sind die Erwachsenen, die Entscheidungen treffen, nicht die Kinder, die Erwachsenen ziehen die Kinder mit sich in das Unbekannte, auch wenn sie also schon einmal hier gewesen sind, ohne einer Menschenseele etwas zu verraten, sie haben nur die Bilder, das Beweismaterial, ins Netz gestellt, aber darüber will Berit nichts mehr hören, und weder Ellen noch Arne scheinen sich dazu eine Meinung gebildet zu haben.
Also stehen wir da und blicken der Fähre entgegen. Und ich denke: Kann es etwas Norwegischeres geben als das hier? Im Wind zu stehen, unten an einem Anleger, und zu sehen, wie die Fähre über den Fjord tuckert, während das Land am anderen Ufer im grauen Nebel nur noch zu ahnen ist? Zu sehen, wie der schwarze Rumpf und der weiße Überbau sich nähern? Oder von mir aus auch, an Bord zu stehen, auf dem Autodeck, oder oben bei den Schornsteinen, und die Wartenden an Land zu betrachten und zu sehen, dass man in die kleine Gemeinschaft zurückkehrt, zu der man gehört, nach einer Runde durch die Welt dort draußen, vielleicht auch nur einem Ausflug in die Bibliothek am anderen Ufer, aber dennoch. Dort stehen sie und sehen, jetzt kommt er, oder jetzt kommt sie, das Wiedererkennen, das in den Gehirnwindungen entsteht, wenn die Entfernung immer kleiner wird. Und weiter denke ich, dass es das ist, was diese Verrückten loswerden wollen. Das hier wollen sie abschaffen. Zerstören. Sie wollen nichts mehr von dem kleinen Café wissen, von Filterkaffee, knusprigen oder weichen Waffeln, halben Brötchen mit Käse und einem winzigen Zipfel roter Paprika, sie wollen den Zeitungsständer mit Inselboten,
VG
und
Dagbladet
nicht mehr, sie wollen nicht mehr an den braunen Resopaltischen sitzen und durch die kleinen, von Salzwasser und Tau beschlagenen Bullaugen hinausschauen, stattdessen wollen sie, mit einem Gähnen, das Gaspedal zum Boden durchtreten und über einen grauen Bogen aus Beton jagen, zu dem feinen Sümmchen von 270 Millionen Kronen, während sie dem Autoradio und dem Regen auf der Windschutzscheibe lauschen. Was um alles in der Welt ist in ihren Köpfen durcheinandergeraten? Was für ein Kurzschluss kann das denn nur sein?
»Ulf! Rede mit uns! Nicht mit dir selbst! Kannst du nicht versuchen, mit diesem Gemurmel aufzuhören?«
Ihre Hände auf meiner Schulter.
»Lass den Mann doch in Ruhe«, sagt Arne und lacht. »Vielleicht sind das ja wichtige Verhandlungen.«
Und dann schlendern wir weiter, zum Anleger, zusammen mit den anderen, während wir nach allen Seiten grüßen, ich stelle mir vor, dass es in alten Zeiten ungefähr so gewesen sein muss, als die Dorfbewohner sich jeden Sonntag vor der Kirche trafen, Grüße, Antworten, Austausch von Neuigkeiten, eine Hand in einer anderen, und die jungen Leute, die einander schüchtern in Augenschein nahmen, die jetzt aber vielleicht schon miteinander und mit anderen Oralsex oder noch Schlimmeres gehabt haben, auf jeden Fall sind nicht sehr viel schüchterne Blicke zu sehen, und das kann im Grunde ja auch egal sein. Und es sind ganz normale Leute, solide Leute, die Städtern zum Verwechseln ähnlich sehen, Tracht und Gewohnheiten von Dörflingen haben nichts Seltsames mehr an sich, das ist vorbei, und es gibt keine halbverrückten Brüder mit Dachs im Schuppen und Autowrack auf dem Hofplatz, es gibt Hausbesitzer und Blockbewohner und
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