Den Oridongo hinauf (German Edition)
Vertretern der verschiedenen politischen Parteien, während wir anderen, das Fußvolk, eben die Füße bewegen und den Hang hoch in Richtung Gemeindehaus schlendern, wo Berge von belegten Broten und Streuselkuchen warten, zusammen mit einem ganzen Ozean aus frisch gekochtem Kaffee und Limonade für die Kinder, Blumen auf den Tischen und der Rednertribüne, der Rednertribüne, auf die ich gleich … aber das stimmt ja gar nicht, fällt mir ein, ich soll ja keinen Vortrag halten, ich soll mich an einem Gespräch mit Ellen Svendsen beteiligen, ich brauche nur die Fragen zu beantworten, die Ellen mir stellt, so einfach ist das, und das Seltsame geschieht, dass ich locker werde, ich wachse vermutlich mit meiner Aufgabe, und was kann denn überhaupt schiefgehen, wenn es Ellen Svendsen ist, die die Fragen stellt, auf die von mir eine Antwort erwartet wird, und die Antwort gerade auf diese Frage ist, nichts, nichts kann schiefgehen, denn Ellen Svendsen ist eine alte Freundin von Berit und eine nicht ganz so alte Freundin von mir selber, und ich schäme mich ein wenig über die Nervosität, die mich vorhin gequält hat, darüber, dass ich einfach kein Vertrauen dazu gehabt hatte, dass meine Freundin natürlich nur mein Bestes will, und da und dort, als ich den geschmückten Saal betrete, beschließe ich, dass diese Brücke, dieses Symbol für das neue und geistesgestörte Geld-Norwegen, ein Thema ist, das ich sehr gut zu einer späteren Gelegenheit aufgreifen kann, ja, wenn ich das richtig verstehe, ist es besser, ein wenig zu warten mit dieser ätzenden Kritik, die ich im Kopf habe, aller Wahrscheinlichkeit nach ist das taktisch klug, denn die Alternative könnte mich sehr leicht als beleidigte Leberwurst dastehen lassen, und das an einem Tag, an dem selbst alte politische Widersacher offenbar Frieden geschlossen haben, um die Klerke herzlich willkommen zu heißen, ich will durchaus nicht die Rolle des Spielverderbers aus Oslo übernehmen, ich denke voller Entsetzen daran, wie ich dastehen könnte, wenn ich nicht, im letzten Moment, zur Vernunft gekommen wäre. Die Brücke? Die Brücke von Binnøya herüber nach Laugen auf Vaksøy? Darüber kann man wohl sagen, dass … dass was denn? Dass ich gar keine Meinung habe? Das bringt doch nichts, da ich mir schließlich vorgenommen habe, eine scharfe Attacke gegen diese Geldverschwendung zu reiten, und zwar bei der ersten Gelegenheit? Und was soll aus meiner Selbstachtung werden, wenn ich mir die Sympathie des Saales erlüge, indem ich dieses total überflüssige Bauwerk bejubele, dieses Denkmal für verlorene Vernunft und Anständigkeit? Könnte ich dann hoch erhobenen Hauptes draußen in Viken im Badezimmer vor meinem Spiegelbild stehen? Wohl kaum. Andererseits: Wie oft habe ich mich nicht schon in schwierige Situationen und Positionen gebracht, weil ich auf Prinzipien herumgeritten bin, die sich dann später als tote Pferde erwiesen haben? Die Brücke wird gebaut werden. Das wurde mit großer Mehrheit so entschieden. Es gibt nichts mehr zu diskutieren. Schon wird auf beiden Seiten des Sundes der Wald gerodet, dort, wo im Laufe des nächsten Frühjahrs und Sommers das gewaltige Fundament errichtet werden soll.
Kann ich Ellen beiseite ziehen? Und bitten? Darum. Dass sie nicht?
Nein.
Nein, das kann ich nicht.
Und dann fällt mir eine ruhige Stimme aus dem Blauen Zimmer ein, die mich auffordert, Tage und Stunden so zu nehmen, wie sie kommen, die mich auffordert, Probleme und Hindernisse nicht schon im Voraus aufzuzählen, und meine eigene Stimme, die verspricht, es so zu halten.
»Ulf? Was ist los?«
Ihre Hand auf meinem Arm. Ein leichtes freundliches Drücken. Ihre Augen, die durch mich hindurchblicken.
Nichts ist, und sie zieht mich zum Tisch, wo schon der Kaffee in den Tassen dampft, und zu großen Schüsseln mit belegten Broten und Streuselkuchen, und mir ist so schlecht und elend, obwohl ich doch eben noch das Unbehagen beiseite räumen konnte, mit angeborenem und gut geübtem Galgenhumor: alles wie immer. Alles ganz normal. Hier sitze ich und grusele mich bei einem Puls von hundertzwanzig, hier sitze ich und belüge die Einzige, die ihren Alltag mit mir teilt, ohne zu klagen, jedenfalls nicht sehr viel, sie, die weiß, dass ich sie belüge, weil sie sich die Mühe gemacht hat, mit mir bekannt zu werden, während ich: nein, nichts ist. Rein gar nichts. Ich sitze doch hier und freue mich, bin erregt bei dem Gedanken, dass ich bald, in einer Stunde, zu Applaus und Jubel,
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