Den Oridongo hinauf (German Edition)
und mit beiden Handflächen erhoben zu einer Art »Aber, aber, Leute«, die drei Stufen zu der kleinen Bühne hochsteigen, fast laufen werde, wo das Tiefeninterview stattfinden soll, das gute Gespräch, das den Zureisenden eine leicht humoristische, aber auch zum Nachdenken anregende Einführung in die Kunst geben soll, an einem Ort wie diesem neu zu sein. Denn ist es nicht so, wie ich oft gedacht und geglaubt habe, wenn die Verhältnisse in meiner Kindheit und Jugend besser gewesen wären, wenn sie nur ein wenig anders gewesen wären, dann hätte ich mich leicht zu einem charismatischen Redner entwickeln können, ja, sogar zu einem Fernsehmoderator. Einem glühenden Politiker mit Träumen und Visionen. Oder einem Fernsehpastor wie Arild Edvardsen. Ich habe sie in mir, hatte sie immer in mir, diese Glut, diese Innigkeit, aber niemals habe ich dieses Talent einlösen können, und so ist es nun einmal hier auf der Welt, wer eine innere Glut hat, ihr aber keinen Auslauf geben kann. Der schwelt. Der verbrennt sich.
Aber ist es zu spät?
Nein. Niemals zu spät. Das hat das Leben mich gelehrt.
Und ich setze mich neben meine Frau, und auf meiner anderen Seite sitzt eine Frau, die ich nicht kenne, was mir gefällt, denn hier sitze ich also zwischen zwei Frauen, es ist nicht zu fassen, aber es ist erhebend, und nun muss ich die Sekunden und Minuten eben so nehmen, wie sie kommen, und da kommt die Platte mit den Schnittchen, ich greife zu bei geräuchertem lokalen Lachs mit Rühreiern aus den Eiern der freilaufenden Inselhühner, die auf den Höfen der Umgebung im Kies scharren, und ich nehme Fischpudding bedeckt mit Krabben aus dem Fjord, bespritzt mit Mayonnaise, verziert mit grünen Petersilienzweigen und einer Zitronenscheibe, die Tassen werden mit Kaffee gefüllt und die Gläser mit Mineralwasser, und wir kauen und schlucken wie zufriedene Kühe, während das Gespräch so leicht dahingleitet wie ein Aal durch Gras, und ich fühle mich wundersam sicher in dem Gespräch, das später mit Ellen Svendsen geführt werden soll. Sicher, dass die Brücke dabei nicht erwähnt werden wird, oder, falls das Thema doch erwähnt wird, ich nur vielsagend lächelnd werde, und dann sollen sie doch glauben, was sie wollen, meine Inselgenossen, mit denen ich zusammenlebe, hier draußen an der Grenze zum Unmöglichen, dem Meer und dem ewigen Wind und der kostbaren Krume, die in den Spalten im Gebirge liegt.
So zu sitzen! Und Lensmann Tharald Reine hebt das Glas, hebt das Glas mit dem sprudelnden Imsdal und trinkt
mir
zu!
Ich falle in der Zeit zurück. Zu dem Tag, an dem ich zu Berit sage, jetzt gehe ich und rede mit dem Lensmann, der zu diesem Zeitpunkt weder Tharald Reine heißt noch irgendeinen anderen Namen hat, sondern nur der anonyme Lensmann auf der Insel ist, der Mann des Gesetzes, aber der ja, wie alle anderen, weiß, dass ich eingetroffen bin und mich bei Berit in Viken einquartiert habe. Jetzt will ich Ordnung schaffen, und zwar, ehe irgendeine Form von Chaos oder Unannehmlichkeiten entstanden ist, ich will Klatsch und Verleumdungen zuvorkommen, und Berit sagt, dass ich keinen Quatsch machen soll, mach keinen Quatsch, aber ich mache keinen Quatsch, ich habe wach gelegen und daran gedacht, ich habe mich entschieden, und es ist kein Unsinn, es ist nur die Folge des Verantwortungsgefühls, das ich während der langen Reise den Strom, den Oridongo hinauf mit guter Hilfe in mir aufgebaut habe, ich bin ein anderer als der, der ich war, und diese neue Variante meiner selbst verkriecht sich nicht in den Winkeln.
Na gut, dann gehst du eben!
Resigniert. Müde.
Na und? Was will sie denn damit sagen?
Nur, dass ich eben gehen soll. Wenn ich unbedingt will. Sie findet es unnötig. Es ist nicht so, dass es hier auf der Insel irgendeine Form von Meldepflicht gäbe. Hier kann man einfach kommen und gehen, ganz wie man will.
Kommen und gehen? An diesem Faden ziehe ich natürlich, vielleicht sogar zum Glück, nicht weiter. Für den Fall, dass sie sich im tiefsten Herzen wünscht, dass ich gehe. Verschwinde. Zurück in die Welt, die sich in kurzer Zeit aufgelöst hat, die mir jetzt nur in Sequenzen erscheint, als vage Erinnerungen. Die Welt, die im Grunde schon gar nicht mehr existiert.
Also schweige ich. Trinke kalten Kaffee und schaue den Kater an. Wir weichen nicht, keiner von uns. Er kommt und geht, auch dieser Bursche. Kehrt von seinen Streifzügen über die Insel zurück, mit einer Selbstverständlichkeit, um die ich ihn oft beneide.
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