Den Oridongo hinauf (German Edition)
Lebensgefährten Arne Svendsen sitzt, wo sie sitzen und Schnittchen essen, ich finde ihren Blick sofort, so, als ob sie mich angesehen hätte, überlegt, wie weit sie gehen kann, wie krass sie sich ausdrücken darf, wie es eigentlich heute Abend um Ulf Vågsvik steht, kann er es ertragen, dass sie die Brücke erwähnt, wie denkt er eigentlich über eine Brückenverbindung zu 270 Millionen, wo er doch aus dem Süden kommt, aus der Hauptstadt des Landes, wo man eine lange Tradition darin hat, gerade solche Projekte zu verachten?
Und dann zwinkert sie. Mir zu. Eine kurze Sekunde. Als wollte sie mit diesem geschlossenen Auge sagen: Ganz ruhig. Oder: Warte nur. Oder vielleicht sogar: Fühl dich nicht sicher vor meiner Begierde. Letzteres ist ja mehr oder weniger unvorstellbar, und gerade deshalb finde ich es so schändlich, dass ich überhaupt so denke, es erinnert mich an früher, wo mich solche Gedanken ganz ohne Scham oder Zurückhaltung irgendeiner Art überkamen, es gehörte nicht viel dazu, und schon bildete ich mir allerlei ein, aber damals lebte ich in einer Wüste der Einsamkeit, einer Wildnis, wo die Liebe einer Frau wie eine erträumte Luftspiegelung weit, weit hinten im Gehirn lag, aber jetzt? Hier? Mit Berit an meiner Seite, einer Prinzessin, nein, Königin von 61 Jahren, die, mehr oder weniger freiwillig und aus eigenem Willen, für mich auf ihrem Thron Platz gemacht hat, die ich im biblischen Sinn »erkennen« durfte, und trotzdem sitze ich hier mit einer Art halb entwickeltem Wunsch danach, dass Ellen Svendsen mit diesem Zwinkern in einer möglichen Zukunft Sex verheißt. Hinter Arnes und Berits Rücken. Weil ich über solche Dinge gelesen und natürlich auch davon geträumt habe, oder ist es einfach so, dass ich als Mann dazu verdammt bin, mich durch diese Bahnen aus Fantasiebildern zu bewegen, egal, welchen äußeren Einwirkungen man ausgesetzt ist? Ist es überhaupt möglich, sich vorzustellen, dass Frauen es auch so treiben? Ich weiß nicht. Ich werde es nie erfahren. Eine Frau, die von einem starken und liebevollen Mann auf den Felsen gezogen wird, so wie ich als Mann von einer starken und wunderbaren Frau an Land gerettet worden bin, und dann fantasiert man einfach von einer anderen? Ich glaube, das kommt vom Testosteron. Das Alphatier, das dazu verurteilt ist, seinen Samen in jedes Loch und jeden Spalt zu spritzen. Denn Ellen Svendsen ist nicht die Einzige, der ich in meinen Träumen den Overall vom Leib reiße, es gibt noch andere. Viele. Nicht zuletzt die Lensmannsassistentin Jenny Lydersen, von der ich mich in meinen feuchten Fantasien festnehmen lasse, die mich von der Straße abdrängt, sodass mein Moped mit drehenden Rädern liegen bleibt, die mich mitten in der Nacht über den Kiesweg verfolgt, die mich einholt, die mich mit ihren Brüsten in den Schlamm presst, die sich auf mich setzt, mich in Eisen legt, ergibst du dich? Und ich gebe mich ihr hin, ganz ohne Vorbehalte, ich gestehe alles, ich entblöße mich, nein, das tut sie, sie entblößt mich, sie greift zu.
Applaus! Der letzte Redner, ich weiß nicht, wer das ist, ich habe keine Ahnung, was er gesagt hat. Denn Ellen Svendsen hat mir zugezwinkert, und sicher wollte sie damit nur sagen, das wird schon gut gehen, Kumpel. Kein Grund sich zu grausen. Und ich sehe auf die Bühne hoch, wo die beiden Sessel bereits aufgestellt sind, zwei gute alte Sessel zu beiden Seiten eines abgebeizten Tisches. Eine Karaffe voll Wein und zwei Gläser, ungefähr so, wie wir es in den neunziger Jahren in der Büchersendung im Fernsehen gewöhnt waren, Faldbakken, Hjorth, Saabye Christensen und die vielen anderen, die sich zu den Absichten und handwerklichen Kunstgriffen des aktuellen Herbstes äußerten, die Überlegungen hinter dem Buch, das da lässig auf dem Tisch lag, oder auf den Knien des Autors, und die Fragen der Moderatoren, die den Zeitungen zufolge niemals spitzfindig genug waren, niemals in die Tiefe gingen, die kritiklos waren, wohlwollend, oberflächlich und naiv, wie sie ja waren. Mit anderen Worten, Fragen, wie ich sie mir jetzt wünsche, um die ich Gott bitte, und das, obwohl ich gar keine Literatur verteidigen soll, sondern meinen eigenen freiwilligen Umzug aus dem urbanen Oslo in eine abgelegene Gemeinde im Nordwesten.
Horst van der Klerk erhebt sich. Ich werde es nie vergessen. Er erhebt sich, noch ehe der Applaus verklungen ist, und er hebt beide Hände, wie um zu sagen, »danke, immer mit der Ruhe«, obwohl der Applaus sich zu diesem
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