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Den Oridongo hinauf (German Edition)

Den Oridongo hinauf (German Edition)

Titel: Den Oridongo hinauf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingvar Ambjørnsen
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Zeitpunkt an den Vorredner richtet, aber viele denken sicher wie ich, so ist es eben in Holland. Da dämpft man den Applaus nach dem Vorredner, damit man selbst zum Zuge kommt. Aber das hier ist Norwegen, und das Einzige, was er erreicht, ist, den Applaus zu steigern, zu intensivieren, und er lächelt und legt die Hände an den Kopf, eine Hand an jede Schläfe, während er denselben Kopf zu einem bescheidenen Diener senkt, und als ich zu seiner Frau hinüberschaue, zu Evelyn van der Klerk, ja, da sitzt sie und wischt sich mit einer blauen Papierserviette die Augen. Denn so heftig ist das Wohlwollen der Inselbewohner, es scheint keine Grenzen zu kennen.
    »Liebe Freunde«, sagte Horst van der Klerk, »liebe, liebe Freundinnen und Freunde.« Und dann begibt er sich auf eine Expedition in das Reich der Dankbarkeit, und das auf einem Norwegisch, das sozusagen akzentfrei ist, und das mich an niederländische Schlittschuhstars wie Ard Schenk und Kees Verkerk denken lässt, auf den schwarzweißen Fernsehschirmen der sechziger Jahre, an Verblüffung und Stolz, die uns überkamen, wenn wir in unseren Wohnzimmern saßen und zuschauten, Verblüffung über die nahezu perfekte norwegische Aussprache, und Stolz darüber, dass jemand dort draußen sich die Mühe gemacht hatte, eine Sprache zu lernen, die nur ein Promille der Weltbevölkerung im Alltag benutzt. Das war großartig. Und ich finde es auch heute großartig, als ich hier sitze und zuhöre, wie dieser Klerk norwegische Natur und Gastfreundschaft preist, Meer, Wind und Menschen, Fisch und Schaf und Fischadler, und in gewisser Hinsicht ist es für mich eine Erleichterung, dass er nicht der Versuchung erliegt, sein eigenes Heimatland herunterzumachen, weder was die Bevölkerungsdichte angeht, noch die Lage unter dem Meeresspiegel oder das kommende Kalifat – es hätte leicht pathetisch ausfallen können, ja, peinlich, da das alles doch Realitäten sind, die wir hier oben gemeinsam erörtert haben, wir haben bis zum Überdruss darüber geredet. Wir wissen es.
    Er fasst sich kurz und kommt auf den Punkt.
    Aber als wir applaudieren wollen, winkt er ab, hier wird nicht applaudiert, nicht jetzt, noch nicht, und oben auf der Bühne, gleich hinter dem Bücherprogramm, sehen wir jetzt den Multihausmeister Samuel Raspaas mit einem jungen Assistenten einen Flügel hervorschieben, der bisher hinter dem türkisen Vorhang versteckt war, und auf ein Signal von Gatten und Vater erheben sich die übrigen Klerke, Evelyn, Tom und die kleine Paula, um gesammelt dieselbe Bühne zu betreten, wo Vatern sich sofort vor die Tasten setzt und ebenso sofort mit Improvisationen über etwas beginnt, was ich für Grieg halte, leicht und flüssig, wie er ja auch die norwegische Sprache behandelt, ich glaube, den »Sonntag der Sennerin« zu erkennen oder etwas in dieser Tour, oder in Moll, ich kenne mich nicht aus mit Musik, aber schön ist es. Und als er ein wenig um dieses Thema, oder wie das heißt, herumgekritzelt hat, kommen »Ich heiße Anne Knutstochter« und »Der Fuchs läuft über das Eis«, vorgetragen vom kleinen Tom, mit Mutter und Schwester als Chorsängerinnen, er steht so ernst da und singt mit heller, klarer Stimme, was meines Wissens damit zu tun hat, dass die Geschlechtsreife noch nicht richtig losgelegt hat, was immer das mit den Stimmbändern zu tun haben soll, habe ich nie begriffen, und als diese beiden Lieder beendet sind, in die Geschichte hineingesungen gewissermaßen, da explodiert der Saal vor Begeisterung, und die beiden Herren Klerk verbeugen sich tief, und die Mädels machen einen Knicks – und dann stirbt Horst van der Klerk, als hätte Gott auf einen Knopf gedrückt.
    Ich werde es nie vergessen. Natürlich werde ich das nicht. Ich werde mich an alles glasklar erinnern, bis ich damit an der Reihe bin, aufs Parkett zu sinken. In Zeitlupe sehe ich es vor mir, wann immer ich will, und ziemlich oft, wenn ich nicht will, zum Beispiel mitten in der Nacht, wenn ich nicht schlafen kann. Die Inselbevölkerung, der ganze voll besetzte Saal im Gemeindehaus, der gleichzeitig aufspringt, während wir begeistert diesem vollständig unerwarteten Auftritt applaudieren (später stellte sich heraus, dass nur der allerhärteste Kern des Empfangskomitees darüber informiert war), der schöne Gesang und die sanften Klavierklänge, die diese kleine Kernfamilie da unten im Flachland eingeübt hatte, sie hatten trainiert, die gutturalen Töne ihrer eigenen Sprache abzulegen, den reinen

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