Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Den Oridongo hinauf (German Edition)

Den Oridongo hinauf (German Edition)

Titel: Den Oridongo hinauf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingvar Ambjørnsen
Vom Netzwerk:
Fahrersitz, damals an jenem Tag, zu beschreiben? Und wie versteht sie denn selbst dieses Gehupe, jedes verdammte Mal, wenn er mit leerem Bus an unserem Haus vorbeifährt? Ein langer Stoß. Mit der Hupe. Wie ein abgemachtes Signal. Wie: Hier sitze ich. Mit einer Gangschaltung aus Fleisch in der Hand. Erinnerst du dich an die langen Stöße, Berit? An
den
Stoß? Erinnerst du dich, wie ich dich vom zweiten in den dritten, vom dritten in den vierten geschaltet habe?
    Und jedenfalls. Ein geheimes Signal. Zwischen ihnen. Auf das ich auf irgendeine Weise reagieren soll. Ich soll mich darüber wundern. Es soll mich quälen.
    Eins ist jedenfalls hundertzehnprozentig sicher: Bendik Haga ist es durchaus zuzutrauen, dass er mit der Hose um die Knie Bus fährt. Oder um die Knöchel.
    »Ich habe nie etwas mit Bendik gehabt, Ulf! Ich habe es dir schon einmal gesagt, und jetzt sage ich es wieder. Und ich will es nicht noch einmal sagen müssen.«
    Sie räuspert sich. »Und du darfst auch nicht mehr nachts zu seinem Haus gehen. Ich will nicht, dass du dich zum Gespött machst. Das Ganze…«
    Soll doch in der Vergangenheit ruhen. Das weiß ich ja.
    Aber jetzt will ich ihren Finger nicht mehr im Ohr haben.
    Ich reiße mich los und gehe in die Küche.
    Bleibe stehen und schaue durch das Küchenfenster hinaus in die Dunkelheit.
    So zu stehen. Draußen in Wind und Dunkelheit, mit festem Fels unter den Füßen, und kalte Luft zwischen den Fingern zu spüren. Bewegliche Luft, harte Windstöße vom Atlantik her. In die Küche eines anderen zu schauen. Der Toaster im Halbdunkel. Der moderne Herd. Das Regal über der Anrichte, mit Gläsern voll Reis, Mehl und Linsen, Tee und Kaffee. Und was es sonst noch alles sein mag.
    Oder sich in einem großen Kreis um das Haus herumzubewegen, sorgfältig darauf zu achten, keinen falschen Schritt zu machen, sich zwischen Felskuppen und losen Holzscheiten und Staudenbeeten einen Weg zu suchen: Säulen aus Schilf in den Senken, nicht ins Feuchte treten, nicht stolpern und sich den Fuß verstauchen, um Gottes willen, nicht sich verletzen und hilflos hier liegen bleiben, abhängig von der Hilfe anderer, genauer gesagt, von der Hilfe
des anderen
.
    Der, wenn man um das Haus herumgeht, in seinem alten Ohrensessel vor dem Fernseher sitzt.
    Der kleine Schweinigel.
    Sein Schatten am Bücherregal, sein untersetzter Rücken, in dem blauen Licht.
    Was sagt sie da?
    Sie sagt: »Er war nur ein Parteigenosse.«
    »Nur«? Nur was denn? Ich kann mich daran erinnern, wie die SUF (m-l) in der Satellitenstadt gegründet wurde, wo ich aufgewachsen bin. Kåre Kvinge und seine Satelliten, die kannte ich doch alle von der Schule her, eine kranke Sekte von verrückten Maoisten, unversöhnliche Seelen, Träger einer politischen Grippe, die auf das ganze Land übergriff und Ansteckung und Misstrauen in Gewerkschaften und Bürgerinitiativen säte, von Solastranda bis Hammerfest. Humorlose Halbpsychopathen, die nur ihre Gesinnungsgenossen grüßten und allen anderen hinterherspuckten, voller Hass und Verachtung für uns, die auf dem wahren Boden der Arbeiterklasse standen, wir, die für das selbstverständliche sozialdemokratische Ideal arbeiteten, entweder ganz offen – oder, wie in meinem Fall, inbrünstig, aber in der Stille. Was und wer wir waren? Die Lakaien des Kapitals und die Mitläufer des Faschismus, wir waren Abschaum und Imperialisten.
    Und Berit? Wie konnte sich eine wie sie von diesem Wahnsinn verführen lassen? Von der Begeisterung dafür, was auf den Todesfeldern von Kampuchea und Chinas Reispflanzungen geschah? Die Intellektuellen – entweder ermordet oder in die Bauernrolle gezwungen – zum großen Gaudi für Tausende von norwegischen Studenten und Schülern,
der ersten Generation von Norwegern
, in der alle, die das wollten, ein Studium aufnehmen und sich eine akademische Laufbahn sichern konnten, unabhängig von Herkunft und sozialem Hintergrund.
    Mit alldem habe ich vor Bendik Hagas Haus gestanden und mich gequält. Denn ich habe gewusst: dort, hinter den leuchtenden Quadraten, die Wohnzimmer und Küche zeigen, dort haben sie gesessen, die fünf Personen, die gemeinsam die AKP-(m-l)-Ortsgruppe von Vaksøy gebildet haben, dort haben sie gesessen und von albanischen Zuständen im Königreich Norwegen geträumt, in dem neuen Ölstaat, der nur drei Jahrzehnte früher ein diktatorisches Joch abgeworfen hatte, nicht unähnlich dem System, von dem die jungen Leute da drinnen kranke Träume hegen, eine neue Diktatur

Weitere Kostenlose Bücher