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Den Oridongo hinauf (German Edition)

Den Oridongo hinauf (German Edition)

Titel: Den Oridongo hinauf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingvar Ambjørnsen
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denn Herz und Hirn müssen sich an den kommenden Tagen doch anderweitig beschäftigen.
    Aber jetzt reicht es nun eben.
    Arne Svendsen wird später, wieder und wieder, die Geschehnisse von seiner Seite des Tisches aus schildern, im Detail, muss ich wohl sagen können, wenn auch mit kleinen Variationen, je nachdem, mit wem er zusammen ist – bei Gunnar Pfaff zum Beispiel mäßigt er seine Ausdrucksweise, doch seine Schilderung der Situation fängt immer damit an, dass ich, Ulf Vågsvik, wie ein Springteufel auffahre, und mit der Faust auf den Tisch knalle, dass Gläser und Tassen umkippen, hier ist also nicht die Rede von einer sanften Hand, einem Klaps, sondern von einer geballten Faust, die mit solcher Kraft auf die Tischplatte geschlagen wird, dass es zwischen den verschiedenen Gegenständen, Gläser, Tassen, Besteck und Servietten, zum Chaos kommt, während zugleich allen Gesprächen in der Cafeteria ein Ende gemacht wird, sie verstummen wie durch Zauberhand. Und das sollte wohl auch erwähnt werden: An diesem Tag sind viele Gäste in der Cafeteria. Ich habe – als ich nun endlich die Sprache finde – fast ebenso viele Zuhörer, wie ich sie im Gemeindehaus an dem Abend gehabt hätte, an dem alles so entsetzlich schiefgegangen ist.
    Zuerst nehme ich die Brücke. Ich nehme die noch ungebaute Brücke und schleudere sie weit aufs Meer hinaus. Ich spreche für die Drogensüchtigen, die unten in Oslo auf der Platte frieren, verspottet und angepisst, ich erkläre meinen Mitinsulanern, was ein Hospiz für eine Einrichtung ist, wie es von innen aussieht, denn darüber habe ich gelesen, und das hätten sie auch tun sollen, Türen ohne Schloss, Klo auf dem Gang und eine immerwährende Untergangsparty mit Heroin und Gewalt, Vergewaltigungen und Misshandlungen von Kindern bis hinab ins Kindergartenalter. Ich spreche für die Alten und Einsamen, die ihre Großstadtleben führen, so fern von der Geborgenheit der Dörfer, dass ihr Dasein im Verhältnis zu dem, was sich hier oben und in ähnlichen Idyllen abspielt, vor allem der Hölle der Wikinger ähnelt, denn es ist kalt, in doppelter Hinsicht. Ich spreche über Somalier, die aus purer Not in den Ghettos von Grønland und Tøyen ihre Kinder und einander schlagen, denn niemand außer einigen sehr wenigen Gutmenschen hat Verständnis für sie. Ich spreche über Polizisten und Journalisten, die in Deckung leben müssen, weil sie im Dienste der Gesellschaft kriminelle Gruppen und Banden entlarven und verfolgen, die drohen, mit Lötkolben oder glühenden Eisen ihren Kindern die Augen auszubrennen.
    Ich erzähle ihnen, dass König Olav tot ist.
    Ich mache es ganz klar, dass König Olav niemals zurückkehren wird.
    Ich erkläre ihnen, was man mit 270 Millionen ausrichten könnte.
    Ich sage, sie sollten sich schämen.
    Wie lange mein spontaner Vortrag dauert, auch darüber gibt es unterschiedliche Ansichten, irgendetwas zwischen zehn Minuten und einer Viertelstunde, möchte ich meinen – in diesem Punkt habe ich wenig oder gar kein Vertrauen zu Arne, der behauptet, ich hätte über eine Viertelstunde geredet. Aber es steht fest, solange ich spreche, ja, denn jetzt
spreche
ich zu ihnen, zu meinen Inselgenossen, ich
belehre
sie über den Stand der Dinge – gibt es keinen Arsch (wie man sagt), der auch nur an seiner Kaffeetasse nippt oder in seinen Kuchen beißt, sie sitzen da wie die Salzsäulen, ich sehe sie wie durch einen Dunst, denn ich habe Tränen in den Augen, ich fühle mich ganz einfach erfüllt von irgendeiner Art Geist, und als ich am Ende des Weges gesagt habe, sie sollten sich schämen, weil sie immer nur über diese elende Brücke reden, während gewisse Personen, eine Frau und ein kleines Mädchen, sich noch nicht einmal die Tränen abgewischt haben, behalte ich dieses Gefühl, von etwas anderem und Größerem erfüllt zu sein als nur mir selbst, ehe ich Magnes Windjacke an mich reiße und im Protest aus dem Lokal stürme.
    Was passierte hinter meinem Rücken, als ich über den Platz lief? Zu meinem dort abgestellten Moped?
    Es wurde ganz still, sagt Arne. Lange.
    Und dann hat wohl jemand gelacht und andere haben mit Hohn und Wut über mich geredet.
    Sie fühlten sich ungerecht behandelt, weil sie die Brücke doch gar nicht erwähnt hatten.
    Aber ich habe keine Zeit für einen solchen Gedanken, als ich den Motor lostrete und aus dem Ortskern von Vaksøy hinausfahre, ich fühle mich hoch erhaben, ja, high, wie ich mir vorstelle, dass man von Drogen werden kann. Oder

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