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Den Oridongo hinauf (German Edition)

Den Oridongo hinauf (German Edition)

Titel: Den Oridongo hinauf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingvar Ambjørnsen
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ich bereits Berit erzählt habe. Dass er beim Gemischtwarenladen auf der Milchrampe saß.
    Dann wird Tharald plötzlich wieder zum Lensmann. »Gut. Habt ihr das schon anderen gesagt?«
    »Natürlich nicht. Ich bin erst seit fünf Minuten wieder zu Hause.«
    »Dann bleibt es dabei. Das letzte, was wir jetzt brauchen können, ist…«
    »Weder Berit noch ich sind direkt schwachsinnig. Ich finde, du brauchst nicht einmal Gunnar Pfaff mitzubringen. Nur die Mutter. Er steckt irgendwo tief in seinem Kopf. Er ist zutraulich, aber ansonsten wirkt er total weggetreten.«
    »Eine halbe Stunde. Höchstens.«
    Es wird die seltsamste halbe Stunde meines Lebens. Berit geht in die Küche, um heißen Kakao zu kochen und Brote zu schmieren. Sie scheint zu verstehen, das zu spüren, was ich nicht sagen kann, was aber mein Wunsch ist. Ein wenig hier sitzen zu können, einige Minuten jedenfalls, zusammen mit dem Jungen. Ehe der Zirkus losgeht. Denn es wird einen Zirkus geben, egal, wie behutsam Tharald vorgeht. Das hier ist eine Sensation für das ganze Land.
    Aber noch nicht sofort.
    Er sitzt ganz still im Sessel, den Berit an den Holzofen gezogen hat. Nur seine Augen sind unruhig. Sein Blick jagt umher, die Gegenstände, Wände und Decke scheinen ihm fremd zu sein. Was sie ja auch sind, aber die Fremdheit geht tiefer, als ob er noch nie in einem Haus gewesen wäre.
    Ich setze mich ihm gegenüber auf den Holzkasten.
    Nehme seine Hand.
    Aber sein Blick setzt seine unruhige Wanderschaft fort.
    Ich muss an etwas denken, was mein Großvater oft gemacht hat, wenn ich nervös war. Wenn ich meine Großeltern besuchte. Denn es lässt sich nicht leugnen. Ich war eine unruhige kleine Seele.
    Er hob mich vor dem großen Koksofen im Wohnzimmer hoch und ließ mich in den Gluthaufen starren.
    Und das mache ich jetzt auch. Ich öffne die schmiedeeiserne Tür, wo die zerspaltenen Birkenscheite liegen wie rotgelbe Schlangen und wo kleine grüne und blaue Flammen zischend aus der Asche schießen. Mir geht auf, dass das hier ein uralter Trick ist, vielleicht der allerälteste, wenn es darum geht, alt oder jung zu beruhigen. So haben wir gesessen, vor hundert, vor Tausenden von Jahren.
    So wie wir jetzt sitzen.
    Der Junge und ich. Der gefunden wurde und der gefunden hat.
    Er schaut in die Glut. Er ist total ausdruckslos, aber das Feuer zieht seinen Blick an. Von der Küche her plaudert Berit mit uns. Darin liegt eine alltägliche Geborgenheit, die in der Rechnung einen Ausgleich schafft, gewissermaßen. Das Normale wiegt das auf, was so unwahrscheinlich ist, dass es brennt – aber eben dennoch möglich.
    Aber soll ich selbst etwas sagen? Nein. Ich soll nur ganz still dasitzen und seine Hand halten.
    Ich denke daran, wie oft ich dieses seltsame Gefühl hatte, dass in meiner Kabine ein Kind anwesend war, als ich den Oridongo hinaufgefahren bin. Vor allem nachts. Einzelne Male, im Halbschlaf vielleicht, glaubte ich, unter dem Fenster, oder vielleicht bei der verschlossenen Tür, den Umriss eines kleinen Menschen zu sehen. Und manchmal, wenn ich träumte…
    Als ob ich wieder dort wäre, höre ich das Dröhnen der Motoren tief unten im Schiffsrumpf, das Dröhnen, das in meinen Gehörgängen bleiben wird, vielleicht sogar in den Gehirnkammern für Einbildungen und Fantasien, solange ich an Bord bin, in dieser Zeit, die sich in Nichtzeit verwandelt, eine Art gleichgültige Schlafwandlung, und ich frage mich, ob sich der Junge jetzt dort befindet, in einem ähnlichen Zustand, und welche Bilder sich in seinem verschlossenen Kopf widerspiegeln.
    Das Geräusch der Maschinen. Es ist die Hurtigrute, die nach Süden, die vor dem Leuchtturm von Skarven in der Strömung vorüberfährt, dort draußen, wo er sich in unseren Gedanken inzwischen wohl befunden hat, tief unten in der Fahrrinne, wo die Barsche mit ihren komischen offenen Mäulern vor der dunklen Felswand stehen. Und als das Geräusch der Maschinen lauter wird, verfällt er wieder in die alte Unruhe, sein Blick verlässt den Gluthaufen. Aber als ich ihn zum Fenster führe, kommt er brav mit, und dann stehen wir da und sehen dieses große leuchtende Schiff, das durch die abendliche Dunkelheit gleitet, wir stehen so da, wie Berit und ich das oft tun und uns das Schiff nach Norden ansehen, und ich halte die ganze Zeit seine Hand, und als das Schiff vorübergefahren ist, zeige ich auf den weißen Kielstreifen, aber jetzt ist er wieder an einem anderen Ort.

16
    Eine Dreiviertelstunde später , schneller wäre es

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