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Den Oridongo hinauf (German Edition)

Den Oridongo hinauf (German Edition)

Titel: Den Oridongo hinauf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingvar Ambjørnsen
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handgestrickter Wollpullover, den er ebenfalls trägt, werden sich nie in irgendein Haus auf der Insel zurückverfolgen lassen. In der folgenden Zeit werden sie in den meisten Zeitungen des Landes abgebildet und im Fernsehen gezeigt werden, aber niemand wird etwas mit ihnen zu tun haben wollen. Jemand schweigt oder niemand weiß.
    Aber das alles gehört noch in die Zukunft, als ich die Straße überquere, ich registriere es kaum, genauer gesagt, ich registriere es zu diesem Zeitpunkt kaum oder vielleicht nur als Teil eines Bildes, das an sich total unmöglich ist, vollständig unlogisch und unwirklich.
    Ich trete ganz dicht an ihn heran und lege ihm eine Hand auf die Schulter. »Tom?«
    Er lässt es geschehen, jetzt schaut er durch mich hindurch, aber er sagt kein Wort.
    Dann lege ich eine Hand auf jede Seite seines kurzgeschorenen Kopfes, ich spüre die kalten Ohren an meinen Handflächen, und im selben Moment fängt er an zu weinen, ohne irgendein Geräusch allerdings, seine Tränen fließen einfach. Und als ich ihn von der Rampe hebe, nimmt er meine Hand und geht wortlos mit mir über die Straße.
    Wie soll ich mit dieser Situation umgehen? Etwas ist passiert, das eigentlich nicht geschehen kann. Und wie das hier weitergehen soll, muss nun ich entscheiden. In diesem Moment bin ich derjenige, der zum Herrn der Lage werden muss. Ich versuche, mit ihm zu sprechen. Er gibt keine Antwort. Ich glaube, dass ich schon da und dort begreife, dass das Band seiner Zunge sich noch eine ganze Weile nicht lösen wird. Lange. Vielleicht nie. Es ist seltsamerweise nicht seine Stummheit, die mir das klarmacht, sondern irgendetwas in seinen Augen. Sie sind klar und blau, dieser Blick hat sogar etwas Vertrauensvolles, jetzt, als er mich also entdeckt hat. Das ist passiert, als ich ihn angefasst habe. Aber es ist, als ob irgendwo in seiner Seele eine dünne Haut zerrissen ist. Ich denke: dünnes Eis. Das nur haarscharf trägt.
    Aber was ist jetzt das richtige Vorgehen? Mir geht auf, dass ich so viel falsch machen könnte, aber was wäre richtig?
    Im Lensmannsbüro anzurufen, natürlich. Tharald Reine oder Jenny Lydersen anzurufen.
    Das wäre hier das Richtige.
    Aber ich habe die Nummer nicht, und ich bringe es nicht über mich, das jemand anderem zu überlassen, nicht einmal Berit, ich kann sie nicht anrufen und sagen…
    Die Antwort ergibt sich natürlich von selbst, als er auf die Ladefläche springt, den kleinen Kasten, den Magne getischlert hat, und sich auf die Seite legt, jetzt mit den eigenen Händen vor den Ohren. Zittert er nicht? Friert er, obwohl er so dick angezogen ist?
    Ich ziehe meine eigene Jacke aus und decke ihn damit zu.
    Dann fahre ich ihn nach Hause, nach Viken.
    Es ist genau sieben Minuten nach sechs, als ich auf dem Hofplatz den Motor ausschalte. Aber wann habe ich ihn gefunden? Das werden wir uns ausrechnen können. Es sind genau zweieinhalb Kilometer von dem stillgelegten Gemischtwarenladen bis nach Viken. Es ist wie eine Rechenaufgabe in der Schule, und ich ahne schon, dass Tharald und Jenny mir bei der Lösung helfen werden.
    Berit steht am Küchenfenster, sie steht vor dem Spülbecken und wäscht ab. Grüßt mit erhobener Spülbürste. Hält aber jählings inne, als der Junge den Kopf hebt.
    Ich hebe ihn hoch und trage ihn zur Treppe, und nun steht sie schon in der Tür.
    »Frag nicht«, sage ich und setze ihn im Gang ab. »Ich weiß nur, dass er bei Krages Laden auf der Milchrampe gesessen hat.«
    »Aber…«
    Sie geht in die Hocke und legt die Hände um ihn.
    »Er redet nicht«, sage ich. »Geh mit ihm zum Ofen, ich glaube, er friert. Wie ist Tharalds Nummer? Oder müssen wir sie zuerst anrufen? Bei Gunnar Pfaff?«
    »Tharald«, sagt sie.
    Ich gebe ihr das Mobiltelefon, und sie tippt die Nummer ein.
    Zum Jungen: »Komm mit, mein Lieber!«
    Wenn ich nur nicht an den Anrufbeantworter gerate, denke ich. Das könnte ich nicht ertragen.
    »Reine!«
    Er ist draußen. Ich höre den Wind jammern.
    »Hier ist Ulf Vågsvik.«
    »Kannst du mich in einer halben Stunde noch mal anrufen? Ich muss ganz schnell…«
    »Ich habe den Jungen gefunden. Tom. Er ist hier in Viken bei Berit und mir.«
    »Was sagst du da?
Was zum Teufel sagst du da? Wie
…«
    »Es geht ihm gut. Wir geben ihm etwas Warmes zu trinken. Tee. Kakao. Es geht ihm gut. Er sagt nichts, aber er scheint unversehrt zu sein.«
    »Ulf…«
    »Kannst du dir nicht einfach die Mutter holen und herkommen?«
    »Aber wo hast du ihn gefunden?«
    Ich wiederhole, was

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