Den Oridongo hinauf (German Edition)
Gesprächsthema der Insel werden wird, vielleicht ist es eine willkommene Atempause für viele, was weiß ich, es ist jedenfalls eine Tatsache, dass das, was sich jetzt in der Cafeteria von Vaksøys Gemeindehaus abspielt, wie eine Brücke zum nächsten einigermaßen bedeutsamen Ereignis auf der Insel fungieren wird – und das auf seltsame Weise mich, meinen Namen, in die Lokalgeschichte einschreiben wird, er wird für alle Zukunft klar und deutlich dort zu lesen sein.
Und das Stichwort ist »Brücke«.
Die Tür hinter mir wird geöffnet. Ich kann mich wirklich jederzeit an den kalten Luftzug erinnern, der mich im Nacken und Rücken trifft, vor allem im Nacken, denn der ist ungeschützt. Ja, und er trifft natürlich auch meinen kahlen Hinterkopf. Die Tür muss sich ja zahllose Male geöffnet haben, während ich hier beim Essen sitze, aber für immer und ewig werde ich mich an diesen Luftzug erinnern, den kleinen kalten Hauch, der mich trifft, als ein Mann, den ich rein gar nicht kenne, und dessen Namen ich mir im Nachhinein auch nicht merken mochte, das Lokal betritt, jählings und brutal, wie in einem Wildwestfilm, um dann rasch zu dem Tisch zu kommen, an dem wir sitzen, wo Ove, Arne und ich sitzen, und mit der flachen Hand auf das Resopal zu schlagen, dass Gläser und Kaffeetassen nur so hüpfen. Er kennt also einen der Anwesenden, er kennt sogar beide, Arne und Ove, wie es sich herausstellen wird, und jetzt hat er offenbar eine sehr ernste Mitteilung zu machen, etwas so Gewichtiges, dass er es für angebracht hält, das Gespräch damit zu eröffnen, dass er seine offene Hand laut und deutlich auf die Tischplatte knallen lässt.
Und dann kommt er. Der Spruch aus den norwegischen Randgebieten. Die Zungenrede des Paranoikers. Jetzt haben (ja leck mich doch) die da im Süden es mal wieder geschafft, jetzt haben die ein weiteres Mal Leim in die Papiermühle gekippt, sie haben die natürliche Entwicklung der Dinge verlangsamt, hier ist die Rede von einer
absolut unnötigen Verspätung
der Brücke, von der
alle wissen
, dass diese verletzliche Inselgemeinschaft hier draußen zu hundert Prozent davon abhängig ist, und außerdem ist hier die Rede von einem
bewussten Vorgehen
, einer Sabotageaktion von der Dimension einer Ladung Dynamit in einer dunklen Nacht, und jetzt muss es (leck mich doch) endlich mal reichen, jetzt gibt es nur eins zu tun für alle, die überhaupt Eier haben und besitzen – und zwar, mit einem Traktorenkonvoi in die Hauptstadt hinunterzufahren und auf dem Eidsvolls plass loszuhupen, also vor dem Parlament, denn die da unten kapieren (leck mich doch) ja nix anderes, wir brauchen die Tatkraft von normalen Menschen, einfachen Malochern – und irgendwas kommt jetzt, was ich nicht ganz verstehe, denn nun merke ich, dass etwas in mir birst, ja, jetzt platzt es und der Osloer Knabe quillt in seiner ganzen Scheußlichkeit heraus.
Später habe ich versucht zu analysieren, was hier geschehen ist. Es zu erklären. Und eins steht jedenfalls fest, nämlich, dass alles zusammen ziemlich viel mit Horst van der Klerks plötzlichem Fortgang zu tun hat. Hier habe ich mich vor dem Vortrag über die verschiedenen Aspekte des Daseins als Einwanderer gegraust, als Neuankömmling auf der Insel, vor einem Vortrag, der zwangsläufig, neben vielem anderen, auch eine ätzende Kritik an der geradezu stupiden Begeisterung der übrigen Bevölkerung darüber enthalten muss, dass sie der Gemeinschaft 270 Millionen Steuerkronen abgeluchst haben, um ihr Auto nicht verlassen zu müssen, wenn sie den Sund zwischen Vaksøy und Binnøya überqueren. Um sich keine Fahrkarte für die Fähre kaufen zu müssen, die jetzt verschrottet wird, obwohl sie – genauer gesagt, alle beide – in hervorragendem Zustand ist. Um keine Tasse Kaffee in der Cafeteria der Fähre trinken zu müssen, um kein halbes Brötchen mit Käse zu essen, um an Deck keine Zigarette zu rauchen. Sondern um stattdessen im eigenen Auto zu sitzen, mit einem Coffee to go (wie das jetzt heißt) und sich irgendeinen Radiosender anzuhören, zum Beispiel Hilde Sotteng, die lokale Variante.
Das, und viel, viel mehr, kann ich nicht äußern, weil van der Klerk zu Boden geht, und im Nachhinein ist es wohl nicht so schwer zu begreifen, dass ich durch dieses unglückselige Ereignis unter Druck gesetzt worden bin. Ich habe mich gegraust. Ich habe Mut gefasst. Und dann wird also nichts aus der Sache. Ich drohe an meiner Botschaft zu verbrennen. Sie steckt wie ein Knoten in mir,
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