Den Oridongo hinauf (German Edition)
nicht möglich gewesen, treffen der Lensmann und seine Assistentin ein, zusammen mit Evelyn van der Klerk, nicht im Streifenwagen, sondern in Tharalds ganz privatem Saab, nur die drei, ohne Blaulicht und Großbuchstaben, das ist leicht zu verstehen – und ich habe es wohl die ganze Zeit verstanden, dass Tharald Reine ein Mann der Vernunft ist. Hier soll alles so weit wie möglich reduziert werden, hier soll niemand auf die Pauke hauen oder ins Horn stoßen. Was hätte ich gesagt, wenn jemand in dieser Wartezeit angerufen hätte, während dieser Dreiviertelstunde, um nach Neuigkeiten zu fragen, ob Berit und ich etwas Neues gehört hätten, was hier draußen auf den Inseln eine ganz normale Aktivität ist? Ich hätte Nein gesagt. Nichts Neues. Ich hätte die Klappe gehalten.
Aber jetzt wird hier auf Vaksøy das Leben vieler auf den Kopf gestellt werden, daran gibt es keinen Zweifel, und es gibt auch keinen Zweifel daran, dass einer, dessen Dasein geradezu Tanzsprünge veranstalten wird, eben genau ich selbst bin, Ulf Vågsvik. Da stehe ich also an diesem »fünften Tag«, draußen in der Küche, noch immer mit Toms Hand in meiner, und sehe, wie die anderen auf dem Hofplatz aus Tharalds schwarzem Saab steigen, Evelyn so unsicher, dass sie von Assistentin Jenny Lydersen gestützt werden muss, sie wirkt betrunken, und ich höre ihre Stimme, laut und schrill, die sich mit dem Geräusch von Berits Pantoffelfüßen vermischt, als sie zur Haustür läuft, um den anderen Zugang zu dem zu verschaffen, was geschehen ist, das, was Gunnar Pfaff, der verdammte Idiot, als das »Wunder von Vaksøy« bezeichnen wird.
Aber wer weiß? Die Wahrheit ist, dass wir es niemals erfahren werden. Wir werden niemals herausfinden, wo Tom gewesen ist.
Aber als die Mutter angestürzt kommt, erregt und glücklich, verwirrt und unsicher – als sie angelaufen kommt, mit dem, was man für ein wildes Gemisch aus starken, ja, überspannten Gefühlen halten kann, halb ohnmächtig, möchte ich annehmen, wie gesagt, sie wirkt berauscht, betrunken, was sie absolut nicht ist, wie sich nun herausstellt, als sie den Namen des Jungen ruft, also Tom, und vor ihm auf die Knie fällt und ihn an sich zieht, ihn mit Küssen überschüttet, ihn klitschnass küsst, merke ich, dass seine kleine Hand meine drei mittleren Finger mit einer solchen Kraft presst, dass ich es fast beängstigend finde, es wirkt, wie so vieles andere an dieser Angelegenheit, fast schon naturwidrig.
Und um eine lange Geschichte kurz zu machen, sie ist übrigens gar nicht so lang, sie ist wohl eher so naheliegend und vorhersagbar, dass man ihr gar nicht viel Aufmerksamkeit zu widmen braucht, natürlich nehmen sie den Jungen mit, und ebenso natürlich geht er bereitwillig mit, hier ist doch von seiner Mutter die Rede, von seiner Mutter, die weint und weint, und die, die ihn mitnehmen, sind eben gerade seine Mutter, dazu die Lensmannsassistentin Jenny und meine Liebste Berit, also die Frauen, und deshalb finde ich, dass es in diesem Zusammenhang, zu diesem Zeitpunkt in der Geschichte, reicht, die Männer zu nennen, Tharald Reine und mich, die am Küchentisch sitzen bleiben und zusehen, wie der Privatwagen des Lensmanns langsam die Hauptstraße hochfährt und dann nach links abbiegt, in Richtung Laugen.
Da sitzen wir also, zwei Männer, jeder mit einer Tasse heißen Kakaos und einem Brettchen voll belegter Brote, allem, was der Junge, Tom, nicht haben wollte. Er hat nicht einmal den Kopf geschüttelt, als Berit damit kam, wandte sich nur ab, bohrte sein Gesicht in meinen Pullover, aber jetzt haben Lensmann Tharald und ich Hunger, wir machen uns über Berits selbstgebackenes Brot mit Hammelwurst, Makrele in Tomate und Fischpudding mit Mayonnaise her.
Aber natürlich. Es gibt einen Grund dafür, dass er und ich uns hier gegenübersitzen, während die Frauen den Jungen mitgenommen haben, und dieser Grund ist zuerst einmal nicht, dass wir solchen entsetzlichen Hunger haben, nein, das hier hat nicht viel mit Brot und Aufschnitt zu tun, und während wir essen, sehen wir uns auf eine Weise an, die, nein, ich weiß nicht so ganz, also sage ich lieber gleich: »Ich gehe davon aus, dass du nicht glaubst, dass Berit und ich ihn gleich am ersten Tag gefunden und so lange im Keller eingesperrt haben…«
»Dabei wollen wir uns gar nicht aufhalten, Ulf«, sagt er und leckt sich Mayonnaise vom kleinen Finger. »Aber du fährst also in einem ziemlich erregten Zustand aus Laugen nach Hause. Die ganze Zeit
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