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Den Tod im Blick- Numbers 1

Den Tod im Blick- Numbers 1

Titel: Den Tod im Blick- Numbers 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Ward
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der, als meine Oma mit mir ans Meer fuhr. Der Ort hatte einen bekannten Namen, so was wie Weston-Super-Dingsbums. Wir fuhren stundenlang mit dem Bus und ich schlief unterwegs ein. Als wir ankamen, war da auf einmal so viel Platz, wie ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte. Das Meer war kilometerweit weg, und dann dieser riesige Strand. Wir aßen Pommes und Eis und es gab Esel. Ich durfte auf einem sogar reiten; war echt das unheimlichste Ding aller Zeiten, aber irre. Wir übernachteten irgendwo und blieben ein paar Tage, nur meine Oma und ich. Verdammt super.«
    Ein paar in der hinteren Reihe schrien wie Esel, aber auf freundliche Weise. Spinnes Schultern sackten ein bisschen nach unten, als er sich entspannte. Nachdem er fertig war, ging er zurück an seinen Platz.
    Und es dauerte nicht mehr lange, bis ich dran war. Meine Haut brannte, ich spürte jedes Nervenende einzeln in meinem Körper, während ich wartete, dass McNulty meinen Namen aufrief. »Und jetzt … Jem, ich glaube, du bist als Nächste dran.«
    Ich fühlte mich nackt unter meinen Sachen, als ich nach vorn ging. Ich drehte mich um, hielt die Augen gesenkt, denn ich wollte nicht sehen, dass mich alle anschauten. Vielleicht hätte ich aus dem Stand etwas erfinden und einfach so tun sollen, als ob ich wie alle andern wäre, mir eine kuschelige kleine Geschichte zurechtspinnen sollen über das perfekte Weihnachten, mit Geschenken unter dem Baum, so was in der Art. Aber so schnell kann ich nicht denken, nicht, wenn ich im Zentrum der Aufmerksamkeit bin. Geht dir das auch so? Fällt dir auch immer erst hinterher ein, was du hättest sagen sollen, die Killer-Antwort, die Totschläger-Bemerkung, die die andern wirklich niederschmettert? Als ich da vorn stand, verängstigt, in Panik, blieb mir nichts anderes übrig, als meine eigenen Worte vorzutragen. Ich holte tief Luft und fing an zu sprechen.
    »Mein schönster Tag. Bin aufgestanden. Hab gefrühstückt. Kam in die Schule. Gelangweilt wie immer. Wünschte mir, nicht hier zu sein, wie immer. Die meisten Schüler übersahen mich, war mir nur recht. Saß mit den andern Idioten zusammen, wir sind ja alle so besonders. Zeit vergeudet. Gestern das Gleiche, aber vorbei ist vorbei. Morgen wird es vielleicht nie geben. Es gibt nur heute. Dies ist der schönste und schlimmste Tag. Ehrlich gesagt, Scheiße.«
    Alle schwiegen, als ich aufhörte zu sprechen. Ich schaute nicht hoch, sondern lehnte mich an die weiße Tafel und litt unter der Peinlichkeit. Die Stille drang mir in die Ohren, machte mich taub. Dann rief jemand: »Kopf hoch, Schätzchen. Vielleicht kommt es ja anders!« Und das vertraute Johlen und Pfeifen ging los.
    Ein Krachen ließ mich aufschauen. Spinne sprang über die Tische und Stühle. Als er den Scherzkeks erreichte, einen Jungen namens Jordan, riss er ihm den Arm zurück und schlug ihm die Faust ins Gesicht. Der Klassenraum explodierte, als Jordan zurückschlug und sich die anderen Schüler in eine brüllende Meute verwandelten, die sich zu einem dichten überdrehten kleinen Pulk formierte. McNulty spurtete nach hinten, zwängte sich durch die Menge, schob Schultern beiseite und quetschte sich zwischen Körpern hindurch.
    Ich knüllte das Blatt Papier zusammen und ließ es zu Boden fallen, dann schlüpfte ich aus der Tür und über den Flur. Ich hatte nur einen Gedanken – zu verschwinden, einen Ort zu finden, wo ich allein sein konnte. Ich wollte nie mehr zurück in diese Folterkammer. Stundenlang blieb ich draußen, an keinem festen Ort, einfach überall, wo einen niemand sieht und sich Sorgen macht, bis ich es leid war, in der Dunkelheit rumzulaufen.
    Als ich bei Karen ankam, lief ich nach hinten zur Küchentür. Ich hatte erwartet, dass sie um diese Zeit bereits im Bett wäre – immerhin war es nach Mitternacht –, doch sie saß am Küchentisch, umklammerte einen Becher Tee und ihr Gesicht war aschgrau. Karen hatte schon alle Arten von Pflegekindern gehabt: Babys, kleine Kinder, Problemfälle im Teenageralter wie ich. Zweiundzwanzig Pflegekinder. Die hatten sie geschafft. Ich checkte noch einmal ihre Zahl. 14072013. Das waren bloß noch drei Jahre.
    »Jem!«, sagte sie. »Alles in Ordnung mit dir? Wo warst du?«
    »Draußen«, antwortete ich. Ich hatte wirklich keinen Nerv, ihr das Ganze zu erklären. Wo sollte ich da anfangen?
    »Komm rein, Jem. Setz dich.« Sie wirkte in diesem Moment nicht sauer, nur müde.
    »Ich will bloß ins Bett.«
    Sie öffnete den Mund, als ob sie mich

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