Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Den Tod im Blick- Numbers 1

Den Tod im Blick- Numbers 1

Titel: Den Tod im Blick- Numbers 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Ward
Vom Netzwerk:
sich. »O ja, sehr gut, wenn damit dann endlich alles vorbei ist …«
    Er führte mich ein paar Stufen rauf und plötzlich stand ich da, in der dunklen Kanzel der Kathedrale von Bath. Er schaltete das Mikrofon ein und stellte mich vor. Seine Stimme donnerte über die Kirchenbänke hinweg.
    »Meine Damen und Herren, setzen Sie sich bitte. Unser junger … Gast … hier in der Kathedrale möchte Ihnen einige Worte sagen.« Er streckte den Arm aus und erlaubte mir, nach vorn zu treten und zu sprechen, dann zog er sich zurück und ging die Treppe hinunter.
    Stille legte sich über die Menge.
    Ich machte den Fehler hinzuschauen. Ein Meer von Gesichtern sah mich an – ein Meer von Zahlen. Ich hatte nichts vorbereitet; keine klugen Worte, keine Rede, keinen Anfang, keine Mitte, kein Ende. Und nur eins zu bieten: eine glatte Lüge.
    Ich holte ein paarmal tief Luft.
    »Hallo«, sagte ich. »Ich bin Jem. Aber das wissen Sie ja, deshalb sind Sie hier.« Keine Reaktion. Ich musste schlucken, danach fuhr ich fort. »Eigentlich weiß ich nicht so richtig, warum Sie hier sind. Ich bin bloß ein Mädchen, dasselbe Mädchen, das ich vor einem Monat war, vor einem Jahr, vor fünf Jahren, als sich niemand für mich interessiert hat. Ich nehm an, das, was jetzt anders ist, liegt an den Sachen, die ich erzählt hab, dass ich angeblich weiß, wann jemand sterben wird. Und ich glaub, Sie sind hier, weil Sie denken, dass ich es Ihnen vielleicht verraten werd. Aber ich muss Ihnen sagen … ich muss Ihnen sagen … das Ganze ist eine Lüge. Ich hab das alles erfunden.«
    Ein kollektives Stöhnen machte sich breit.
    »Um Aufmerksamkeit zu bekommen, das war alles. Mannomann, hat echt funktioniert. Tut mir wirklich leid. Ich bin eine Lügnerin. Sie sind betrogen worden. Sie können jetzt alle nach Hause gehn – die Show ist vorbei.«
    Ich drehte mich um und wollte die Treppe runtergehen. Die Leute fingen an laut zu werden – das war nicht das, was sie hören wollten. Es gab wütende Rufe, aber auch einen Schrei voller Leid, der alles andere übertönte – ein schrecklicher Laut. Ich drehte mich noch mal um und suchte die Menge ab. Die, die so schrie, war die Frau mit dem Kopftuch, die, die gestern mein Haar berührt hatte. Auch wenn es unfair von ihr war, zu mir zu kommen, um eine Antwort zu bekommen, blieb in mir doch das Gefühl, dass ich sie im Stich gelassen hatte. Ich trat wieder ans Mikrofon.
    »Was haben Sie denn erwartet?« Ich sah die Frau an, sprach jetzt direkt zu ihr, und die ganze Menge verstummte erneut. »Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen die Antwort geben, für die Sie extra hergekommen sind.«
    Ich schwieg und leckte mir über die Lippen.
    »Sie werden sterben.«
    Sie schlug sich die Hände vor den Mund und riss schockiert die Augen auf. Ein Stöhnen machte sich breit.
    »Und genauso ist es mit dem Mann da neben Ihnen. Und dem hinter Ihnen. Oder mit mir. Wir alle sterben. Alle hier in der Kirche und alle da draußen. Sie brauchen mich nicht dafür, um das zu wissen. Aber da ist noch was.«
    Hinten in der Kirche öffnete sich eine Tür. Eine Gruppe von Männern trat ein – Polizisten in Uniform.
    »Sie leben auch alle. Jetzt gerade, heute leben Sie. Strampeln sich ab. Ihnen wurde ein weiterer Tag geschenkt. Uns allen.«
    Die Männer gingen rüber zum Hauptgang und kamen nach vorn. In ihrer Mitte war ein Typ, viel größer als alle andern, lächerlich groß, um ehrlich zu sein, und sein Kopf tanzte und nickte in einem ganz eigenen Rhythmus. Das konnte nicht sein. Oder? Mein Herz hörte auf zu schlagen. Ich schwöre, dass es so war, doch mein Mund redete weiter.
    »Wir wissen, dass für uns alle eines Tages das Ende kommt, aber wir sollten uns davon nicht unterkriegen lassen. Wir sollten nicht zulassen, dass uns das vom Leben abhält.«
    Spinne war jetzt stehen geblieben, ungefähr auf halbem Weg durch die Kirche. Er stand da und schaute zu mir rauf, mit diesem großen, albernen Grinsen im Gesicht. Ich sprach jetzt zu ihm, es gab niemand anderen mehr für mich, nur ihn.
    »Besonders, wenn du jemanden gefunden hast, der dich liebt – das ist das Wichtigste von allem. Wenn du so jemanden hast, dann solltest du jede verdammte Sekunde mit ihm genießen …«
    Da riss er seine Arme in die Höhe und stieß einen großen Freudenschrei aus. Andere Leute begannen zu klatschen.
    Ich trat vom Mikrofon zurück und stolperte die Treppe runter. Mir war egal, wer mich sah, wie viele Linsen oder Kameras auf mich gerichtet waren.

Weitere Kostenlose Bücher