Den Tod im Blick- Numbers 1
wachte ich auf, noch immer in einem Traum, ohne zu wissen, was wirklich war und was nicht. Ich hörte die warmen, tiefen Laute der Kühe, die sich unterhielten. Es roch nach Erde und Scheiße, tierisch und pflanzlich, alles gemischt. Ich lag wie immer zusammengerollt auf der Seite, aber mein Rücken war warm, irgendwas Schweres lag auf mir und ich fühlte mich eingeschlossen. Ich öffnete die Augen und schaute in eine Wand aus Stroh. Ich schaute nach unten und dort lag Spinnes Arm, um meine Taille geschlungen. Auch er lag auf der Seite, angeschmiegt an meinen Körper.
Es fing gerade an hell zu werden. Zwei Kühe mühten sich, auf die Beine zu kommen, kickten das Heu umher – ich nehme an, das hatte mich geweckt. Ich legte meine Hand auf Spinnes Arm und drückte ihn noch enger an mich. Diese kleine Bewegung weckte ihn und er strich mir über den Kopf und küsste ihn.
»Besser, wir stehn jetzt auf, es ist schon Morgen«, flüsterte ich.
Spinne stöhnte. »Okay«, sagte er. »Noch fünf Minuten.«
Und so lagen wir noch ein bisschen zusammen. Inzwischen war ich wach und dachte an die letzte Nacht. War es wahr? Hatte sich etwas verändert? Spinne schlief wieder ein, ich spürte es am Gewicht seines Arms und an dem schweren, gleichmäßigen Atem auf meinem Schädel.
Langsam machte ich mir Sorgen, jemand könnte uns entdecken. Bestimmt schaute einer nach den Kühen. Kein Mensch ließ sie doch tagelang allein, oder? Ich bewegte mich unter Spinnes Arm und fuhr mit den Händen auf seiner Brust hin und her, um ihn zu wecken.
»Komm schon, wir müssen los.«
Er öffnete träge ein Auge. »Wossudieeile?«
»Wir müssen hier raus, wird schon hell.« Ich schlängelte mich aus seinen Armen und setzte mich auf. Wir hatten nicht in der Strohhöhle geschlafen, sondern uns einfach oben auf ein paar Ballen gelegt. Überall lagen Klamotten, eine Socke, eingetreten in den dreckigen Boden. O ja, es war wahr.
Ich klaubte meine Sachen zusammen und versuchte das verdammte Stroh abzuzupfen, dann zog ich mich aus, um mich gescheit wieder anzuziehen. Ich fühlte mich gehemmter in dem kalten Tageslicht und zog mir schnell mein Oberteil über, dann wand ich mich hin und her, um den BH unter den Pullover zu kriegen.
»Warum machst du das?«, fragte eine verschlafene Stimme. »Ich hab doch jetzt alles gesehn. Du musst dich nicht mehr verstecken.«
»Ich weiß«, sagte ich, »aber mir ist kalt. Und steh endlich auf. Hier …« Ich rollte seine Socke auf, die ich in der Nacht getragen hatte, und warf sie ihm zu.
»Ja, ja.«
Als wir angezogen waren, blieb uns nichts weiter zu tun, als aufzubrechen. Kein Frühstück, nicht mal was zu trinken. Die Kühe hatten sich am Zaun aufgestellt und beobachteten uns neugierig, ihr Atem dampfte in der kalten Morgenluft. Wir steckten die Decken in die Tüten und brachen auf. Keiner stellte die Frage, was heute anstand – wir mussten in die Zivilisation zurück, also folgten wir dem Weg Richtung Hauptstraße. Spinne trug unsere Plastiktüten. Als wir aufbrachen, nahm er zwei in die eine Hand und schob sich mit der freien andern vorsichtig noch eine von meinen unter den Arm. Wir liefen nebeneinanderher, ohne zu reden. Als der Weg enger wurde, ging er ein bisschen vor, ließ mich aber nicht los, und so marschierten wir weiter, ich mit nach vorn gestrecktem Arm, er mit nach hinten gestrecktem. Klingt kitschig, was, als ob wir voll und ganz in diese beknackte Turtelkiste marschiert wären. Aber so war es nicht. Wir waren jetzt nur zusammen. Richtig zusammen.
Wir liefen an der Straße entlang und streckten jedes Mal den Daumen raus, wenn wir hinter uns ein Auto hörten. Wir waren an einem Punkt, wo wir riskieren mussten, erkannt zu werden. Niemand hielt an. Alle waren in Eile, rasten über die kleine Landstraße, als ob sie eine Rennstrecke wär, und schwenkten überrascht zur Seite, wenn sie uns sahen. Einige hupten auch, als hätten wir auf der Straße nichts zu suchen. Was meinten die wohl, wo wir laufen sollten? Im Graben? Arschlöcher.
Es hatte aufgehört zu regnen, aber alles war nass und am Straßenrand standen große Pfützen. Meine Hose wurde immer schwerer, als das Wasser von unten hochzog. Es war nicht leicht, mit total leerem Magen zu laufen. Meine Beine waren sowieso müde, so richtig müde. Mein ganzer Körper rebellierte gegen das, was ich von ihm verlangte. Ich musste immer wieder aufstoßen, aber ich konnte noch nicht mal riechen, was wir gestern gegessen hatten – bloß bittere,
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