Den Tod im Blick- Numbers 1
soll.«
»Ist gut, Jem.« Aber er hatte mich losgelassen und war von mir weggerückt.
»Nein, ist es nicht. Ich bin ein Idiot.« Wenn ich es erwidert hätte, hier und jetzt, wenn ich ihm gesagt hätte, dass ich ihn liebe. Wenn … wenn … wenn.
Seine Wärme fehlte schlagartig und Kälte breitete sich jetzt überallhin aus und ließ mich fürchterlich zittern. Ich setzte mich auf, fing an nach meinen Sachen zu suchen und fluchte schon wieder wegen der fehlenden Taschenlampe. Ich zog an, was ich grad fand, keinen BH, keine Unterhose, nur eine Socke, und die fühlte sich an, als ob sie von Spinne war, einen Pullover, meine Jeans; der Rest musste warten, bis es wieder ein bisschen Licht gab. Ungefähr einen Meter von mir entfernt tat Spinne das Gleiche. Es schien, als ob zwischen uns etwas zerbrochen war. Ich hatte es mit meiner großen Fresse kaputt gemacht.
Ich rollte mich zusammen, doch selbst mit den Klamotten am Leib war mir durch und durch kalt. Um ehrlich zu sein, wenn du mitten im Dezember draußen im Regen rumtanzt und dich dann splitternackt in einer Scheune rumwälzt, ist eigentlich Erkältung angesagt, oder? Und Hunger zu haben hilft auch nicht gerade. Einen Meter entfernt hörte ich, wie Spinne hin und her rutschte, um richtig zu liegen. Er seufzte. Es konnte aber auch nur ein Ausatmen sein, doch für mich lagen Frust, Wut und Trauer in diesem Seufzer. Ich wollte die Hand nach ihm ausstrecken, hatte aber zu große Angst, dass er sie abschütteln könnte.
Wir lagen schweigend da. Hinter uns waren jetzt sogar die Kühe stiller. Sie hatten sich ins Heu und in ihren eigenen Dreck gelegt und kauten und atmeten leise vor sich hin. Mir war zu kalt, um schlafen zu können, jeder Versuch war ohnehin zum Scheitern verurteilt wegen dieser Mauer des Schweigens zwischen uns. Ich brauchte ihn.
»Bist du wach?«, flüsterte ich so leise, dass sich meine Stimme im Dunkel der riesigen Scheune fast verlor.
»Ja.«
»Mir ist kalt.«
»Ich weiß. Mir auch.« Pause. Eine lange, sehr lange Pause. »Dann komm rüber.«
Als er sich umdrehte, schlurfte ich zu ihm. Er wickelte mir einen seiner langen Arme um die Schultern und ich kuschelte mich an ihn.
»Tut mir leid«, sagte ich. »Wegen vorhin.«
»Schon gut, Jem. Sei still. Ist Vergangenheit.«
»Ja, aber … ich wollte das nicht sagen. Ich wollte dich nicht verletzen.«
»Ich weiß. Ist schon okay. Ist alles okay zwischen uns. Streit unter Liebenden, hm?« Er küsste mich auf die Nasenspitze, fuhr weiter hinab zum Mund und plötzlich war wirklich alles wieder okay.
Und als wir von neuem den Atem des andern einsogen und ich meine Hände in seinen schwammartigen Haaren vergrub, dachte ich: Liebende, ja, wir lieben uns jetzt. Wir tauchten wieder auf, um Luft zu holen, und lagen kuschelnd zusammen. Meine Hände waren immer noch kalt. Er nahm sie und schob sie unter seine Kleider auf die bloße Haut von Brust und Bauch, um sie zu wärmen.
»Wär es nicht schön, wenn man noch mal von vorn anfangen könnte?«, fragte ich. »Ich hab das Gefühl, als ob mein Leben schon vorbei ist, bevor es richtig anfängt.«
»Erzähl mir davon.« Er sah mich wieder an. Meine Hände glitten um seinen Körper, meine Arme umschlossen ihn. »Aber wir fangen noch mal an, Jem. Ich glaub, wenn ich dich nicht getroffen hätte, hätt mein Leben aus Dope und Pillen, Crackrauchen und Heroinspritzen bestanden. Gefängnis. Krankenhaus. So wär das für mich gelaufen, aber du hast mich davor bewahrt. Jetzt wird alles anders für uns.«
Ich krallte meine Fingernägel in seinen Rücken und spürte, wie die Tränen in meinen Augen brannten.
»Autsch! Wofür ist das? Willste deine Spur hinterlassen?«
»Nein, nur dich festhalten.« Und auch er drückte mich an sich und wir hatten noch mal Sex, nur dass wir diesmal Liebe machten, langsam und zärtlich. Und ich lag nicht einfach da, sondern war mit beteiligt; ich bewegte mich, küsste, streichelte und stöhnte. Es schien, als ob ich jemand anderes wär, aber das stimmte nicht. Das hier war ich, mein wahres Ich, und Spinne war der einzige Mensch, der je zu mir durchgedrungen war, mich als die erkannt hatte, die ich war. Und auch ich erkannte ihn. Seine Schönheit.
Danach lag ich in seinem Ellenbogen und mein Kopf ruhte auf seiner Brust. Er war ganz still, kein Zucken und Beben. Wir lagen friedlich und ruhig zusammen und ich schlief ein, mit seinem warmen Atem in meinem Gesicht und seinem Herzen, das dicht an meinem schlug.
KAPITEL 19
Langsam
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