Den Tod vor Augen - Numbers 2
fühle ich mich noch richtig menschlich. Deshalb wäre Schwimmen fantastisch. Aber alles andere hier ist okay.
Außer Vinny gibt es noch zwei andere Typen: Tom und Frank. Beide sind heroinabhängig. Ob ich keine Angst habe, hier zu wohnen? Nein. Niemand hat Interesse an mir, jedenfalls nicht, mich zu vögeln. Das Einzige, was sie interessiert, ist der nächste Schuss. Und Vinny finanziert seine Sucht mit Dealen. Er hat seine Stammkunden wie Meg und ihre diebischen Kolleginnen und er vertickt sein Zeug auf der Straße. Keiner von ihnen kommt her. Er hält sie fern. Unten in der Küche stehen im Eck ein paar Baseballschläger, für den Fall, dass es Ärger gibt. Aber in den paar Wochen, die ich jetzt hier bin, war das nie der Fall.
Ich bestreite meinen Lebensunterhalt, indem ich für sie koche. Ich hab nie gewusst, dass ich kochen kann, musste es ja auch bislang nie tun. Am ersten Tag kam ich in die Küche runter und alles war ein einziges Chaos. Echt schlimm. Also hab ich erst mal aufgeräumt. Hatte ja nichts Besseres zu tun. Am Abend hab ich dann Pasta gekocht und Käse drübergerieben. Mehr war nicht im Kühlschrank zu finden.
Am nächsten Tag kam Vinny mit einem Armvoll frischer Sachen an.
»Du musst Obst und Gemüse essen«, meinte er. »Jede Menge Grünzeug.«
»Seit wann bist du denn Experte?«
Er zuckt die Schultern.
»Keine Ahnung, stimmt aber doch. Man muss so was essen, wenn man schwanger ist.«
»Ja, glaub schon, aber ich hab keine Ahnung, was man mit dem Zeug macht.«
»Suppe«, sagt er. »Schneid alles klein und schmeiß es in einen Topf.«
Genau so mach ich es. Und es schmeckt herrlich. Alle kriegen was ab. Meine Mitbewohner sind zwar keine großen Esser. Manchmal essen sie den ganzen Tag über nichts. Ich schon. Es ist nicht bloß essen für zwei. Wenn du dir selbst was gekocht hast, macht es sogar richtig Spaß.
Es macht mir Spaß, in der Küche herumzukruscheln, alles in Ordnung zu halten und für die drei Jungs zu kochen. Eigentlich hasse ich so was ja, Frauen, die zu Hause bleiben und nur für den Mann sorgen. Meine Mum hat das ihr Leben lang gemacht. Dienstmädchen gespielt für andere, rumflitzen, alles perfekt machen, sauberes Haus, saubere Kleider, Essen pünktlich auf dem Tisch. Das macht mich krank. Jetzt tu ich das Gleiche, aber das ist was anderes. Wir sind eine andere Art von Familie. So eine, in der alle die Hälfte der Zeit viel zu fertig sind, um zu essen. Eine, in der niemand fragt, wo das Essen herstammt. Eine, in der sich Leute im Hof übergeben und es nicht mal erwähnen.
Doch es ist auch eine Familie, in der niemand den andern verurteilt, in der niemand versucht, dir an die Wäsche zu gehen, in der du trotz allem sicher bist. Ich fühle mich in diesem besetzten Haus in der Giles Street sicherer als die ganzen letzten Jahre.
Wenn ich nicht koche oder aufräume, zeichne ich. Irgendwann habe ich alte Tapeten gefunden und angefangen herumzukritzeln. Vinny sieht es.
»Die sind ja der Wahnsinn, Mann«, sagt er und holt mir Tesafilm, damit ich sie bei mir an die Wand kleben kann. Ich zeichne alles Mögliche – Dinge aus dem wirklichen Leben, Dinge, an die ich mich erinnere. Eines Tages beobachte ich Vinny und die Jungs im Schlaf, wie sie unten im Wohnzimmer liegen, und zeichne sie. Ich denke, es wird ihnen gefallen, und so ist es auch. Sie hängen die Sachen an die Wand. Doch die Bilder machen Vinny auch traurig.
»Das ist mein Leben, Sarah. Du hast mein Leben gezeichnet.«
»Du wirkst so glücklich, wenn du schläfst. So friedlich.«
»Ich schlafe nicht, ich bin high. Und ich bin nicht glücklich, nicht mehr. Nur erleichtert, dass ich es geschafft habe.«
»Trotzdem, ich wünschte, ich könnte diese Art von Frieden finden.«
Sein Gesicht verdunkelt sich, als ob gerade eine Wolke über ihn hinwegstreifen würde.
»Du brauchst das nicht. Wenn ich irgendwann merken sollte, dass du diesen Weg einschlägst, schmeiß ich dich raus, Sarah. Das ist nichts für dich. Du bekommst ein Baby.«
»So hab ich das auch nicht gemeint …« Oder doch? Wenn man genau drüber nachdenkt, ist die Realität doch scheiße. Es gibt nicht viel, was wirklich gut ist. Wenn es also eine Möglichkeit gibt – was zum Rauchen, zum Schlucken, zum Spritzen –, die alles besser macht, wieso nicht?
»Der beste Weg, clean zu werden, ist, gar nicht erst mit dem Dreck anzufangen. Lass die Finger davon. Mach nie den ersten Schritt.«
»Sag einfach nein?«
»Du machst dich über mich lustig –
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