Den Tod vor Augen - Numbers 2
Älteren wölbt sich der Bauch über den Hosenbund. Sie fragen mich so ziemlich das Gleiche wie die Bullen: Wieso ich in der Stadt rumhänge? Was ich da aufschreibe? Ich sage nichts. Kein Wort. Dann startet der Ältere plötzlich einen Überraschungsangriff.
»Ich hab deine Mum gekannt«, sagt er. »Jem. Bin ihr vor siebzehn Jahren begegnet. Tat mir leid, das mit ihr … du weißt schon.«
Jetzt hat er mich. Meine volle Aufmerksamkeit. Weiß, dass ich mehr hören will. Ich schau ihm in die Augen, er ist einer, der überleben wird. Das Datum sagt, dass er noch dreißig Jahre vor sich hat.
»Ich hab sie in der Kathedrale befragt, nachdem sie sich dort versteckt hatte. Sie meinte, sie könne Zahlen sehen, die Todesdaten der Leute. Hat damals ziemlich für Wirbel gesorgt. Aber dann hat sie alles geleugnet und gesagt, sie hätte das Ganze nur erfunden.«
Er stochert mit dem Fingernagel zwischen den Zähnen.
»Es ist nur so«, sagt er, »die Sache hat mir keine Ruhe gelassen. Ich glaube nicht, dass sie das Ganze erfunden hatte. Ich glaube, sie hat wirklich den Tod von den Leuten am London Eye vorausgesehen. Ist es bei dir genauso? Bist du wie deine Mutter?«
Ich möchte am liebsten Ja sagen. Ich möchte ihm alles erzählen. Er wird mir glauben. Vielleicht kann er mir helfen, helfen, damit umzugehen.
»Denn wenn es so ist«, fährt er fort, »hast du mein volles Mitgefühl. Es muss schrecklich sein, mit so was zu leben.« Ich sehe ihn an, versuche ihn unter die Lupe zu nehmen, ihm meine Aufregung nicht zu zeigen. »Es muss schwer sein. Die Sache ist nur die, einerseits könntest du für mich und meine Leute verdammt nützlich sein. Andererseits könntest du aber auch eine Menge Probleme verursachen.«
Und plötzlich läuft mir ein Schauer über den Rücken. Was er gesagt hat, war zwar keine richtige Drohung, aber ich weiß, wir stehen nicht auf derselben Seite. Und ich frage mich, was der Typ eigentlich ist. MI5? MI6?
»Ich weiß, was du in dein Palm-Net geschrieben hast, ich habe Kopien aus deinem Notizbuch gesehen. Viele Zahlen drehen sich um Anfang Januar. Was passiert da, Adam? Was siehst du in deinem Kopf?«
Ich antworte nicht. Ich hatte mir überlegt, ihm von Neujahr zu erzählen, aber er weiß es ja sowieso, hat es längst im Visier, deshalb ist er hier. Wie auch immer, ich habe keine Antwort. Ich weiß nicht, was geschehen wird.
Ich wende den Blick von ihm ab, und während er immer weiter redet, stelle ich mir vor, wie er dieselben Fragen Mum gestellt hat.
»Wie war sie, meine Mum? Wie war sie, als Sie ihr begegnet sind?«
Er lächelt.
»Patzig. Manipulierend. Unverschämt. Ich mochte sie.«
»Ich bin wie sie«, sage ich.
Er seufzt. Es ist, als ob Luft aus einem Ballon entweicht, und da merke ich, dass er genauso angespannt ist wie ich, egal wie entspannt und cool er sich gibt. Er beugt sich vor.
»Es ist eine gefährliche Gabe, über die du verfügst. Sehr gefährlich. Das darf nicht bekannt, nicht herausposaunt werden. Es ist leicht, Menschen wütend zu machen, sie in Angst zu versetzen. Verstehst du, was ich meine?«
»Ja.«
»Deshalb musst du es für dich behalten. Nur mit Leuten wie mir darfst du darüber reden. Genau genommen wollen wir, dass du uns davon erzählst. Alles erzählst, was du weißt. Hier …« Er fasst in seine Jackentasche und schiebt eine Karte über den Tisch: Name, Handynummer, E-Mail-Adresse. »Du kannst mich jederzeit anrufen«, sagt er.
Doch als Oma mich abholen will, nehmen sie sie beiseite und reden, als ob ich nicht im Raum wäre.
»Weist ein gestörtes Verhalten auf … empfehlen wir eine psychiatrische Untersuchung … unbeaufsichtigt nicht außer Haus …«
Sie tut so, als ob sie zuhört. Ich halte den Kopf gesenkt und die Augen zu Boden gerichtet, bis alles vorbei ist und wir mit dem Bus zurück in die Carlton Villas fahren.
»Was soll das, Adam? Was hast du vor?«
Sie ist die Einzige, mit der ich drüber reden könnte, nicht diese Spukgestalten in ihren Anzügen. Doch ich schaff es einfach nicht. Zwischen uns ist eine Mauer und ich komme nicht durch. Zum Teil hängt es mit ihr zusammen, ihren Ansichten, dem, was sie sagt, und zum Teil damit, was sie nicht ist. Sie kann nichts dafür, dass sie nicht meine Mum ist, trotzdem kann ich ihr das nicht verzeihen. Noch nicht.
Deshalb bleibe ich in meinem Zimmer, täglich vierundzwanzig Stunden, und durchforste das Internet nach Hinweisen, horche darauf, ob Post durch den Briefschlitz fällt. Sobald ich es
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