Den Tod vor Augen - Numbers 2
klappern höre, bin ich schon unten. Ich muss vor Oma da sein, denn ich will nicht, dass sie irgendetwas erfährt. Ich will nicht, dass sie die Botschaften sieht, die von Junior kommen. Ich weiß, was darin steht, jedenfalls ungefähr. Die ersten haben mir einen Vorgeschmack gegeben: »06122027. Dein Datum steht fest. Bist du bereit?« oder »Verabschiede dich schon mal von deiner Oma, Loser. Du bist erledigt«.
Manchmal schafft es Oma vor mir an die Tür. Außerdem ist sie zu merkwürdigen Zeiten wach.
»Ist für dich«, sagt sie. Sie hält den Umschlag in den Händen und sieht ihn diesmal genau an.
»Gib ihn mir«, sage ich und strecke die Hand aus.
»Freund?«, fragt sie. »Freundin? Du weißt, dass du jederzeit Leute einladen kannst. Wenn du willst.«
Ich antworte nicht, sondern halt nur die Hand ausgestreckt, bis sie den Hinweis versteht.
»Adam«, sagt sie, als ich mich umdrehe und wieder nach oben gehe. »Bleib mal eine Minute. Wir müssen …«
Ihre Stimme hat sich verloren, als ich die Tür hinter mir schließe. Reden. Wir müssen reden. Wenn ich es doch nur könnte.
Ich lege den Umschlag zu den andern und schalte Dads Computer an. Es ist zwar ein uraltes Teil, aber es hat Verbindung ins Netz, auch wenn es Ewigkeiten braucht. Und sogar ich weiß, wie man googelt. Normalerweise gebe ich »2028« oder »Ende der Welt« ein, aber heute Abend mache ich etwas anderes. Heute Abend frage ich nach dem, was mich nicht schlafen lässt.
Meine Finger gehen über die Tasten, bis im Suchfeld steht: »Wann werde ich sterben?«
Dann drück ich auf Enter.
Achthunderteinunddreißig Millionen Treffer. Ich klicke auf den ersten Eintrag. Er stellt mir Fragen. Wie alt ich bin. Ob ich rauche. Wie viel ich wiege. Wie viel Sport ich mache.
Ich mache mir nicht die Mühe, bis ganz ans Ende zu scrollen. Websites wie diese rechnen nicht mit dem Unerwarteten. Sie wissen nichts von einer Bombe, einem Feuer oder einer Flut. Sie haben keine Ahnung, was London in wenigen Wochen passieren wird. Oder ob mich noch vorher ein Irrer mit seinem Messer erwischt.
Ich auch nicht.
SARAH
Mir ist schon den ganzen Tag lang übel, irgendwie fühl ich mich nicht gut. Dann, ich weiß nicht genau, wann, merke ich, dass dieses komische Gefühl in Wellen kommt, etwa alle zehn Minuten, und es ist mehr als ein Ziepen, ein richtiger Schmerz. Jedes Mal, wenn sich mein Bauch verhärtet, ziehen sich die Muskeln zusammen wie eine Faust.
Es ist niemand außer mir im Haus.
Scheiße! Scheiße! Das kann es doch nicht sein. Ich weiß nicht genau, wie weit ich bin, aber neun Monate sind es doch auf gar keinen Fall. Ich bin noch nicht so weit. Ich schnapp mir das Buch, wühle mich durch die Seiten. »Wehen und Geburt.« O Gott, wieso hab ich das denn nicht gründlich gelesen? Da steht was über Atmung, dass man sich weiter bewegen soll, und dann über Stellungen. Die Wörter tanzen mir vor den Augen und wieder kommt eine Wehe.
Beweg dich. Beweg dich. Ich versuche im oberen Stockwerk des Hauses auf und ab zu gehen, aber als eine neue Wehe einsetzt, erstarre ich. Ich halte mich an der Wand fest, versuche zu atmen.
Ich weine und wimmere, es kommen Geräusche aus meinem Körper, die ich nicht kontrollieren kann.
So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ich wollte keine Ärzte und Krankenhäuser, aber ich hatte gedacht, andere Menschen wären bei mir. Ich hatte geglaubt, Vinny wär hier. Ich bin gerade auf dem Flur, als mir das Wasser läuft. Es kommt nicht geschossen, ist nur ein kleines Rinnsal am Bein hinab. Ich habe mich vollgepisst , denke ich. Super . Aber als ich versuche, das Wasser zu halten, geschieht nichts, die Flüssigkeit kommt einfach weiter. Es ist Blut mit dabei. Das kann doch nicht richtig sein, oder?
Ich schleppe mich ins Badezimmer. Der Lärm, mein Lärm wirkt dort lauter, er hallt von den gekachelten Wänden wider. Ich sitze auf dem Klo, lasse den Rest Wasser herauslaufen. Ich würde am liebsten für immer so sitzen bleiben, doch ich zwinge mich aufzustehen. Ich kann nicht zulassen, dass mein Kind auf einem Klo geboren wird.
Ich halte mich am Waschbecken fest, versteife den Körper vor Schmerz. Er überwältigt mich, ich hab keine Zeit auszuruhen. Ich möchte fortlaufen, aber wohin denn? Ich beuge mich zur Seite, übergebe mich in die Schüssel, zwei, drei Mal, dann sink ich zu Boden.
Die Geräusche klingen jetzt wie bei einem Tier – tief, ein Grunzen und Stöhnen.
Ich könnte hier sterben.
Wenn die Schmerzen nicht bald aufhören,
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