Den Tod vor Augen - Numbers 2
»Willst du was Sauberes zum Anziehen? Ich könnt dir was raussuchen, wenn du willst. Von Oma, nicht von mir.«
Der Gedanke, dass sie meine Sachen tragen könnte, lässt mich innerlich zerfließen.
»Nein, nein. Alles okay, ich nehm nur ein Bad.«
»Ich bereite dir alles vor«, sage ich und spurte nach oben. Dort gieße ich ein bisschen Schaumbad in den Heißwasserstrahl. Sofort füllt sich der Raum mit einem süßen chemischen Duft. Ich krame im Wäscheschrank und ziehe das beste Badetuch raus, das ich finden kann. Zumindest ist es groß – und sauber.
»Danke«, sagt Sarah in der Tür stehend. Sie ist mir nach oben gefolgt.
»Schon in Ordnung. Hast du Hunger? Ich hab ein bisschen Suppe.«
»Ja. Ehrlich gesagt: Ich sterbe vor Hunger.«
»Dann mach ich sie heiß. Du kannst sie nach dem Baden essen.«
Wir versuchen uns aneinander vorbeizudrücken, aber ich kann es nicht verhindern – ich muss einfach stehen bleiben, als ich neben ihr bin. Sie riecht nach Stadt, nach Verkehr und Ruß und nach ungewaschener Haut. Es ist aufregend. Sie ist so dicht vor mir, dass ich mich kaum rühren müsste, um die Stelle zu küssen, wo ihr Hals in die Schulter übergeht.
»Danke«, sagt sie noch einmal und ich merke, dass sie sich bedrängt fühlt. Sie will, dass ich ihr aus dem Weg gehe.
Ich lasse sie allein, versuche nicht dran zu denken, wie sie ihre Sachen auszieht, in das schäumende Wasser steigt, sich zurücklehnt und die Augen schließt … Ich zwinge mich, etwas Normales zu tun, öffne die Suppendose und gieße den Inhalt in einen Topf. Dann lege ich den Dosenöffner weg und lehne mich an die Arbeitsplatte, so dass meine Eier gegen die Schranktür drücken. Es tut weh. Denk nicht dran. Geh nicht hin. Aber sie werden hart, hart und immer noch härter, als ich mir vorstelle, sie gegen was anderes zu drücken, etwas Weiches, Nachgebendes. Speichel steigt mir in den Mund und ich schließe die Augen, horche auf die Geräusche von oben; wie ihre Haut auf dem Kunststoff quietscht, als sie sich zurechtsetzt, wie das Wasser an- und ausgestellt wird und dann durch den Abfluss und das Rohr gurgelt.
Das Wasser läuft durch den Abfluss. Scheiße! Sie ist fertig. Sie wird gleich unten sein.
Ich steh schnell auf, zu schnell. Mir wird leicht schwindelig. Du musst normal wirken. Beeil dich, mach die Suppe fertig.
Ich zünde das Gas unter dem Topf an und habe gerade noch Zeit, mir ein Geschirrtuch zu schnappen und vor die Hose zu halten, bevor Sarah reinkommt. Sie hat sich das Badetuch um den Körper gewickelt und ein anderes wie einen Turban um ihren Kopf. Sie wirkt so jung, kein Make-up, einfach nur ihre saubere rosa Haut. Rosa Beine, rosa Füße, rosa Arme, rosa Hände. Das hab ich nicht erwartet. Sie sieht aus wie ein Traumbild, ein Engel. Ich kann meinen Blick überhaupt nicht mehr von ihr lösen.
Sie scheint nicht zu merken, welche Wirkung sie auf mich hat.
»Du hattest Recht«, sagt sie und kratzt sich durch das Handtuch an den Haaren, »meine Sachen sind schmutzig. Meinst du, ich könnte mir was ausleihen? Irgendwas von dir wär schon okay.«
»Ja, klar. Ich mach das nur eben fertig.« Die Suppe kocht an den Topfwänden hoch. Ich drehe mich von ihr weg, um die Suppe auf den Teller zu tun. Mein Penis will immer noch aus der Hose springen, deshalb klammere ich mich weiter an das Geschirrtuch, als ich den Teller für sie auf den Tisch stelle.
»Ich fürchte, Brot haben wir nicht. Höchstens ein paar Cracker«, sage ich.
»Schon gut. Das hier ist toll. Isst du auch was?«
»Nein, ich hab keinen Hunger. Ich geh mal und such dir was zum Anziehen raus.«
In meinem Zimmer finde ich ein T-Shirt und eine Jogginghose, die passen müssten, nur meine Unterhosen kann ich ihr schlecht anbieten. Aber ich kann auch nicht einfach Omas Sachen durchwühlen. Zum einen schläft sie in ihrem Zimmer, aber selbst wenn nicht, würde ich mir eher die Hände abhacken.
Ich bringe die Sachen nach unten. Mia ist aufgewacht. Sarah hält sie und zeigt ihr ein paar von Omas Nippes-Figuren auf dem Kaminsims. Mia springen die Augen aus dem Kopf. Ihre Hände stoßen gegen den Kasten aus poliertem Holz, der einen Ehrenplatz hat. Sarah zieht sie zurück.
»Nicht anfassen, Mia«, sagt sie. »Nicht die schönen Sachen anfassen.« Dann zieht sie die Augenbrauen zusammen. »Was ist das? «
»Die Asche von meinem Urgroßvater. Oma würde ohne sie nirgends hingehen.«
Sie weicht noch einen Schritt weiter zurück und zieht ein
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