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Denk an unsere Liebe

Denk an unsere Liebe

Titel: Denk an unsere Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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nahm Frau Torveruds Fall mit Toni genau durch. Zu ihrer Ausbildung hatte auch ein gründlicher Kurs in Krankheitslehre gehört, und so folgte sie genau mit.
    „So“, sagte der Chefarzt, „gehen Sie heute noch einmal zu Frau Torverud. Sie hat Vertrauen zu Ihnen. Jetzt können Sie es halten, wie Sie wollen. Wenn sich erweist, daß Sie recht haben in diesem Fall, werde ich in Zukunft mit noch größerem Respekt auf Sie hören.“
    Toni erhob sich. Der Chefarzt reichte ihr die Hand.
    „Sie müssen mich verständigen, wie es ging.“
    „Selbstverständlich, Herr Chefarzt.“
    Und so ging Toni wieder hinauf auf Nummer 15.
    Frau Torverud lag mit geschlossenen Augen. Aber sie schlief nicht. Sie schlug die Augen auf, als Toni kam. Die Mitpatientin in dem andern Bett schlief fest und sicher.
    Toni setzte sich ans Bett.
    „Ich habe mit dem Chefarzt gesprochen“, sagte sie, und es glückte ihr, die Stimme ruhig und fest zu machen. „Jetzt brauchen Sie mich nur zu fragen, dann werde ich auf alles antworten, was Sie wissen wollen.“
    Aus Tonis Stimmklang konnte Frau Torverud gar nichts erraten.
    So fragte sie leise:
    „Was fehlt mir denn?“
    „Im Augenblick sind Sie bloß müde und mitgenommen nach der Operation“, sagte Toni. „Aber Sie wurden wegen Magenkrebs operiert.“
    Sie sagte es mit Willen geradeheraus, ohne vorsichtige Einleitungsworte zu gebrauchen.
    „Krebs“, wiederholte Frau Torverud still. „Krebs“, sagte sie noch einmal.
    Tonis Herz schlug rascher.
    Gott – machte sie es doch falsch?
    Hätte sie es lieber nicht sagen sollen?
    Dann wandte Frau Torverud den Kopf gegen Toni und fragte leise und ruhig:
    „Und wie sind jetzt die Aussichten? Konnte alles wegoperiert werden?“
    „Ja“, sagte Toni. „Alles.“
    „Aber Krebs kann wiederkommen.“
    „Das kann er“, sagte Toni. „Aber es bestehen auch gute Chancen, daß er nicht wiederkommt. In einigen Tagen werden Sie mit der Röntgenbehandlung beginnen. Die bekommen Sie gerade deshalb, um zu verhindern, daß er wiederkommt.“
    „Aber ganz sicher kann ich nie sein.“
    „Nein, nicht hundertprozentig. Aber es gibt eine Menge Beispiele, daß Krebs nicht wiedergekommen ist. Sie haben Chancen, siebzig und achtzig Jahre zu werden. Aber…“
    „Ja. Ich verstehe“, sagte Frau Torverud.
    Ein Ausdruck unendlichen Friedens glitt über ihr Gesicht. Sie starrte vor sich hin, und nach einem langen Schweigen fing sie zu sprechen an, leise und sehr deutlich.
    „Es ist gut, daß ich es nun weiß. Nun weiß ich jedenfalls, daß ich ordnen muß, was zu ordnen ist, so daß ich, wann immer, ruhig sterben kann. Und wenn ich trotzdem am Leben bleibe, so will ich mich über jeden einzigen Tag freuen. Ich werde ihn wie ein Geschenk entgegennehmen.“
    Sie schwieg wieder. Dann lächelte sie und wandte ihren Kopf gegen Toni.
    „Hat man seine Pflicht hier im Leben getan, kann man auch ruhig sterben. Ich will nicht prahlen. Ich versuche, nüchtern zu denken, und da weiß ich, ich habe meine Pflicht getan.“ Sie sah vor sich hin. Die Augen starrten in eine Ferne, die Toni nicht kannte.
    „Als ich noch Kind war, wurde ich ein Bücherwurm genannt. Ich war tüchtig auf der Schule und später auf der Mittelschule in der Stadt. Ich würde noch weiter gegangen sein, aber da war Hans Jörgen, mein Mann, der Bauernsohn vom Nachbardorf. Ich war knapp neunzehn, als mein ältester Sohn geboren wurde. Im selben Jahr starb der Schwiegervater, und Hans Jörgen übernahm den Hof, zweiundzwanzig Jahre war er alt.
    Wissen Sie, was ein schwer zu bewirtschaftender Westlandhof bedeutet? Ein Hof, wo das Heu auf dem Rücken getragen werden muß, ein Hof, wo man die Kleinkinder anbinden muß, damit sie nicht über steile Abhänge hinunterfallen? Da war ich Bäuerin seit meinem neunzehnten Jahr. Meine Schwiegermutter wurde bald darauf krank und mußte gepflegt werden. Das mußte ich neben der Hofarbeit, der Kinderpflege und dem Haushalt noch besorgen. Ach ja, ich konnte meine Kräfte gebrauchen. Aber ich habe einen guten Mann. Wir haben schwer geschuftet, aber wir haben zusammen geschuftet. Und ich war glücklich. Glücklich war ich, mein ganzes Leben lang.“
    Es war, als ob Frau Torverud laut dachte. Sie hielt eine große Rückschau über ihr Leben.
    „In den letzten Jahren ist es viel leichter gewesen. Aber sie brauchen mich noch. Die drei Jüngsten brauchen mich, vor allem Liv. Liv ist fünfzehn, und ein fünfzehnjähriges Mädel braucht die Mutter. Aber nun muß Liv lernen,

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