Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben
Creuzer gefördert. Die Gedichte dieses Bandes beschäftigen sich vorrangig mit der Liebe. Sie sind auch ein Spiegel
der Schwierigkeiten, die Günderrode mit Creuzer hat. Ihr Hang zum Freien, Unsystematischen kommt in diesem Zyklus vorzüglich
zur Geltung. Keine andere ihrer Dichtungen geht so unmittelbar von der Lebensrealität aus:
Überall Liebe
Kann ich im Herzen heiße Wünsche tragen?
Dabei des Lebens Blüthenkränze sehn,
Und unbegränzt daran vorüber gehn?
Und muß ich traurend nicht in mir verzagen?
Soll frevelnd ich dem liebsten Wunsch entsagen?
Soll muthig ich zum Schattenreiche gehn?
Um andre Freuden andre Götter flehn,
Nach neuen Wonnen bei den Todten fragen?
Ich stieg hinab, doch auch in Plutons Reichen,
Im Schoos der Nächte, brennt der Liebe Glut,
Daß sehnend Schatten sich zu Schatten neigen.
Verlohren ist wen Liebe nicht beglücket,
Und stieg er auch hinab zur styg’schen Flut,
Im Glanz der Himmel blieb er unentzücket.«
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Die Liebe ist für Günderrode das Band, das Himmel und Erde miteinander verbindet. Ohne Liebe ist das Leben dumpf und glanzlos.
Selbst die Schatten im Reich der Toten sehnen sich danach. Günderrodes Interesse an antiken Mythen wird deutlich. So wählt
sie für die Beschwörung des Totenreiches die »styx’sche Flut«, womit der griechische Totenfluss gemeint ist.
Außerhalb des geistigen Austauschs gestaltet sich die Beziehung zu Friedrich Creuzer immer schwieriger. Günderrodes Liebe
ist nun voll entbrannt. Sie hofft auf seine Scheidung von Sophie, sehnt sich danach, endlich aus dem Gefängnis Stift fliehen
zu können. Friedrich Creuzer jedoch lebt in einer ihn restlos überfordernden Spannung. Er steckt tief in seiner Arbeit, hat
an der Universität mehr zu bewältigen, als seine Kräfte erlauben. Seiner Frau gegenüber hat er ein schlechtes Gewissen, weil
er sie wegen einer Jüngeren an den Rand drängt. Er genießt die »Abwechslung«, die ihm Günderrode bietet, und leidet gleichzeitig
unter der Verantwortung seiner Frau gegenüber. Günderrode muss ihm erscheinen wie eine Zauberin. Erhält er einen Brief von
ihr, so fangen seine Hände an zu zittern, und er kann sich kaum auf den Beinen halten. Friedrich Creuzer erlebt die Liebe
als eine Krankheit, die ihn aus der gewohnten Bahn wirft und Körper und Seele einer tödlichen Bedrohung aussetzt. Günderrodes
Forderungen übersteigen seine Möglichkeiten. Sie erwartet von ihm eine Bedingungslosigkeit, einen Idealismus, an dem er scheitert.
Karoline von Günderrode wird immer unfähiger, sich auf andere Menschen einzulassen, ihr Denken ist monologisch geworden. Friedrich
Creuzer registriert das sehr genau und bringt es auf den Punkt, indem er Günderrode mitteilt, sie könne sich nicht in sein
»bedingtes Leben«finden. Damit meint er die absolute Sichtweise Günderrodes, die es ihr verwehrt, zu sehen, in welchen Abhängigkeiten er steht.
Der expressionistische Dichter Gottfried Benn hat vom »Doppelleben« als einer Überlebensstrategie gesprochen. Sie ließe sich
ohne Probleme auf Creuzer anwenden. Friedrich Creuzer lebt ein Doppelleben: hier die Ehe mit Sophie und die Routine an der
Universität, dort seine Liebe zu Karoline und die gemeinsamen Entwürfe einer Existenz, die herauswill aus dem spießbürgerlichen
Sumpf. Karoline ist für diese Art von Doppelleben nicht zu haben, obwohl auch sie diese Situation sehr wohl kennt. Mit Friedrich
Creuzer aber soll es endlich anders werden.
Günderrode hat nie aufgehört, in ihrem Studienbuch weiterzuschreiben. Seit 1804 beschäftigt sie sich nahezu ausschließlich
mit der Philosophie des 1775 geborenen Philosophen Friedrich Wilhelm Schelling.
Der junge Schelling beschäftigt sich vor allem mit Fragen der Ästhetik. In der Kunst, so argumentiert er, sei dem Menschen
die größtmögliche Vollkommenheit gegeben. Kunst schaffe eine Unmittelbarkeit, die es in keinem anderen Bereich gebe. Diese
Ideen gefallen Günderrode, bei der sich die Fähigkeit zum abstrakten Denken immer verbindet mit unmittelbarer Gefühlsintensität.
Das Vermittelnde des Denkens und das Unmittelbare der gefühlten Anschauung zu verbinden, das entspricht Günderrodes Ansicht.
Später wird man sagen, mit der Romantik habe die moderne Zeit begonnen. Gerade die enge Verbindung von Philosophie und Kunst
gehört zu den Merkmalen der Moderne. Die Romane von modernen Autorinnen und Autoren wie Robert Musil, IngeborgBachmann und
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