Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben
hat es die
seltene Tugend, dass es vor allem Unmut und Zweifel verwahrt. Ferner wird es Dir ein zärtliches Pfand sein.« 25
Außerdem liegt da noch der Spruch, den Günderrode auf ihrem Grabstein haben möchte:
Erde du meine Mutter und du mein Ernährer der Lufthauch
Heiliges Feuer mir Freund und du o Bruder der Bergstrom
Und mein Vater der Äther ich sage euch allen mit Ehrfurcht
Freundlichen Dank mit euch hab ich hienieden gelebt
Und ich gehe zur andern Welt euch gerne verlassend
Lebt wohl denn Bruder und Freund Vater und Mutter lebt wohl .
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Niemand kann sagen, wie Günderrodes Stimmung war, nachdem sie den Entschluss gefasst hatte, sich zu töten. Das Gedicht spricht
von einer fast freudigen Seelenlage, so, als fiele es der Dichterin leicht, von der Erde wegzugehen. Wie sehr muss sie die
Natur geliebt haben! Nicht Menschen sind es, von denen sie Abschied nimmt, sondern Erde, Luft, Feuer und Wasser und dazu der
Äther als Element des Geistigen. Der Tod war ihr fremdvertraut, fast schon ein Freund, und das, obwohl sie so intensiv gelebt
hat. Für die Romantiker hatte der frühe Tod, das Sterben im Jugendalter, einen ganz besonderen Zauber. Die Verlobte des Dichters
Novalis starb mit fünfzehn Jahren und wurde dadurch zu einer Muse für ihn.
Allerdings ist Günderrode auch eine gewisse Theatralik nicht abzusprechen. Die Leser des Abschiedsbriefs sehen sie vor sich,
wie sie sich selbst verletzt. Sie tut es wie eine große Mimin auf der Bühne, inszeniert ihre Hingabe an den Geliebten. Günderrode
hat keine Scheu vor dem Pathos. Sie geht nicht in Panik und kopflos in den Tod, sondern bringt ihr Leben zu dem Ende, das
ihr auch denkerisch konsequent erscheint.
Günderrodes Freunde sind schockiert. Jeder versucht, sich eine Erklärung zurechtzulegen. Lisette Nees, die gute Freundin vor
allem der frühen Jahre, schreibt an Susanne von Heyden: »Jeder Abfall von der Natur ist ebenso gut Sünde als der Abfall von
der Sitte, denn die Sittlichkeit ist ja nur eine höhere Natur. Gegen beide sündigte Lina.« 27
Das schreibt Lisette, die es sich in der Vergangenheit nicht vorstellen konnte, ein bürgerliches Dasein zu führen, die Verbündete
im Widerstand gegen jede Beschränkung der persönlichen Freiheit. Lisette hat sich mit dem Alltagarrangiert. Susanne wiederum schreibt an den Bruder Günderrodes: »... ihr Herz war größer denn diese Welt; nur die innigste Liebe konnte es lebend erhalten; als diese starb, brach auch ihr Herz;
kein Mensch kannte diesen Engel so wie ich.« 28
Susanne von Heydens Urteil ist zwar gut gemeint, aber entspricht es Günderrode wirklich? Oder lässt man sie vielleicht jetzt,
kurz nach ihrem Tod, bereits zum Bild erstarren? Ist sie wirklich an gebrochenem Herzen gestorben? Dann würde es genügen,
ihr Mitleid zu zeigen, und mehr nicht. Eine tragische Liebesgeschichte wie viele? Ihr Werk und ihre Briefe sprechen eine andere
Sprache: Günderrode war zwar eine begabte Träumerin, aber eine hellwache dazu. Inneres Empfinden und Denken spielen in all
ihren Zeugnissen so lebendig ineinander, dass sie nicht zu unterscheiden sind. Jedenfalls war Günderrode kein Engel. Sie war
zunächst einmal ein lebendiger Mensch mit einem genuin philosophischen Geist und einer großen dichterischen Begabung: »Bleibend
will sein der Künstler im Reiche der Schönheit / Darum in dauernder Form stellt den Gedanken er dar.« 29
Günderrode war pausenlos tätig in dem Bemühen, zu formen, was in ihr war. Anspruchsvoll war sie, fordernd den Freunden gegenüber,
unnachgiebig und oft ohne Verständnis für die alltäglichen Probleme der anderen. Ihre größten Widersacher aber waren der Alltag
und das Alltagsgesicht der Zeit, in der sie lebte: »Es gibt nur zwei Leben, das gemeine (das schlechter ist als wir) und das
höhere; viele Menschen schweben zwischen beiden, der wahre Künstler steht ganz in Letzterem, es ist die wahre Seligkeit, und
wer es einmal betreten, der ist der Welt ohne Rettung verloren.« 30 Der wahre Künstler schwebtgerade nicht, die ganz normalen Menschen schweben häufig. Der Künstler weiß, wo er steht.
Günderrode nur von ihrem frühen Tod her verstehen zu wollen, ist fatal. Sie war eine dem Leben zutiefst zugetane Frau. Das
Leben wollte sie philosophisch durchdringen und in ihrer Dichtung evozieren. Dass die Zeitumstände ein solches Vorhaben nur
Männern gestatteten, hat beigetragen zu ihrem Entschluss, den Tod
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