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Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben

Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben

Titel: Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Gleichauf
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vorzuziehen.

 

     
    »IN MEINEN TRÄUMEN SAH ICH immer eine glänzende Zukunft vor mir. Ich träumte von Glück und von Ruhm, denn ich war überzeugt,
     dass ich zu etwas Großem bestimmt sei und in die engen bürgerlichen Verhältnisse, in denen ich geboren war, gar nicht hineingehörte.« 1 So Edith Stein über ihre Jugendphantasien. Als sie beginnt, ihre Autobiografie niederzuschreiben, ist sie bereits zweiundvierzig
     und man schreibt das Jahr 1933.   Sind die alten Träume noch lebendig oder sind sie längst einer nüchternen Wirklichkeit gewichen? Hat das Große, von dem sie
     träumte, schon begonnen?
     
    Edith Stein wird am 12.   Oktober 1891 als jüngstes Kind in eine jüdische Familie hineingeboren, die ihre Religion lebt und gleichzeitig patriotisch
     eingestellt ist. Ihre Eltern fühlen sich als deutsche Juden. Der Vater, Siegfried Stein, betreibt einen Holzhandel in Breslau.
     Die Mutter, Auguste Stein, kommt aus einer geistig sehr aufgeschlossenen Familie, geht aber keinem Beruf nach. Sie bekommt
     elf Kinder, von denen vier sehr früh sterben. Mit der Erziehung der verbleibenden sieben fühlt sie sich völlig ausgelastet,
     bis zwei Jahre nach Ediths Geburt der Vater bei der Besichtigung eines Waldes an einem Hitzschlag stirbt. Auguste Stein steht
     plötzlich allein da mit ihren vielen Kindern und einem nicht gerade florierenden Holzhandel. Ihr Mann war kein begnadeter
     Geschäftsmann. Zur großen Überraschung der Verwandtschaft beschließt die mutige Frau, das Geschäft unter eigener Regie weiterzuführen.
    Sie krempelt die Ärmel hoch und bringt es tatsächlich zuwege, dass der Betrieb besser läuft als je zuvor. Endlich kann sie
     einmal zeigen, was in ihr steckt. Ein ausgeglichenes Gemüt hilft ihr, mit den Strapazen fertig zu werden. Mit einer robusten
     Gesundheit und gewaltigem Arbeitseifer gesegnet, lebt sie zudem aus der Zuversicht, dass Gott ihr schon beistehen werde. Neben
     der Freude an der Arbeit besitzt sie auch einen ausgeprägten Sinn für die Entwicklung ihrer Kinder. Soweit sie es sich leisten
     kann, fördert sie das Familienleben durch Ferienaufenthalte und Feiern. Die hohen jüdischen Feste werden würdig begangen und
     zu jedem Sabbat bäckt die Mutter die länglichen, zu Zöpfen geflochtenen Weißbrote. Auch Spiele kommen nicht zu kurz und der
     Holzplatz wird längst nicht nur zum Abwickeln der Geschäfte genutzt. Obwohl die Kinder ihren Vater früh verloren haben, können
     sie eine frohe und abwechslungsreiche Kindheit erleben, in der sie mit ihren verschiedenen Begabungen und Sorgen ernst genommen
     werden.
     
    Edith, das Nesthäkchen, wird von der Mutter besonders liebevoll behandelt. Sie ist ein waches, übermütiges Mädchen, das gern
     herumtobt und nur so sprüht vor witzigen Einfällen. »Miezekatze« wird sie von den Geschwistern genannt und so benimmt sie
     sich auch. Sie hat einen sehr eigenen Kopf und lässt sich längst nicht alles sagen. Was sie durchsetzen will, setzt sie durch.
     »Aber in meinem Innern gab es noch eine verborgene Welt. Was ich am Tage sah und hörte, das wurde dort verarbeitet. Der Anblick
     eines Betrunkenen konnte mich tage- und nächtelang verfolgen und quälen   ... Wenn in meiner Gegenwart von einer Mordtat gesprochen wurde, lag ich nachts stundenlangwach und das Grauen trat aus allen dunklen Ecken auf mich zu.« 2
    Edith Stein hat ein Innenleben, von dem die anderen nicht viel erfahren. Darin liegt ein erster Hinweis auf ihre Fähigkeit,
     sich im Stillen mit dem, was sie erlebt und wahrnimmt, auseinanderzusetzen. Eine intensive Gedanken- und Phantasietätigkeit
     beginnt sich bereits in der Kindheit zu entfalten.
    Als ihre Lieblingsschwester Erna in die Schule kommt, gerät Edith Stein in eine Krise. Sie wünscht sich nichts sehnlicher,
     als endlich auch ein Schulkind sein zu können. Sie hat Glück: Ihre älteste Schwester Else macht gerade ihr Lehrerinnenexamen
     und kann erreichen, dass Edith vorzeitig aufgenommen wird. Die schafft das Pensum spielend und auch auf ihr Verhalten wirkt
     sich die Schule positiv aus: Sie legt einen Teil ihrer Widerspenstigkeit ab. Wie die anderen Mädchen in ihrer Schule weiß
     sie, wie wichtig es für das spätere Fortkommen ist, gute Leistungen zu erzielen. Die Zeit dafür ist günstig, denn anders als
     früher setzt man sich nun ein für eine höhere Bildung von Mädchen, auch wenn dies nur diejenigen aus den so genannten »besseren«
     Schichten betrifft. Das Leistungsprinzip herrscht

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