Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben
nicht anders handelt, ist schwer auszumachen. Vielleicht hätte sich Steins
eigenes Leben anders entwickelt, wenn sie Philosophieprofessorin an einer Universität hätte werden können oder wenn sie geheiratet
hätte, was sie sich im Fall von Hans Lipps durchaus hätte vorstellen können. Aber nun ist alles anders gekommen: Am ersten
Januar 1922 lässt Edith Stein sich taufen.
Schwerer als alles andere ist es, ihrer Mutter diesen Schritt zu beichten und zu erklären. Die ist entsetzt, und mehr noch,
sie hat ein schlechtes Gewissen, weil sie meint, ihren Kindern den jüdischen Glauben nicht intensiv genug nahegebracht zu
haben. In der ersten Zeit nach Edith Steins Geständnis verbietet sie ihrer Tochter sogar das Haus. Auch über ein Gespräch
kommt es nicht zum gegenseitigenVerständnis. Doch es ist nicht nur die Mutter, die nicht versteht, auch Edith ist so überzeugt von der Wahrheit ihres neuen
Glaubens, dass sie die Brücke nicht schlagen kann. Zwei radikale und konsequente Frauen treffen aufeinander, jede zeigt sich
ganz und gar erfüllt von ihrer Religion. Zwischen ihnen klafft ein Spalt, den selbst die Liebe, die sie füreinander empfinden,
nicht schließen kann.
Für Edith Stein beginnt ein neues Leben. Sie wird es mit der gleichen Radikalität leben wie das vergangene. Die wissenschaftliche
Arbeit hat zunächst einmal zu ruhen. Stein unterrichtet Deutsch und Geschichte im Lehrerinnenseminar der Dominikanerinnen
in Speyer, wo sie nur ein winziges Zimmerchen bewohnt, aber wegen der großen räumlichen Nähe die Möglichkeit hat, so oft in
die Kirche zu gehen, wie sie möchte. Und jetzt, so kurz nach dem Übertritt zum Katholizismus, tut sie nichts lieber: »Konnte
sie es möglich machen, bei Gelegenheit drei heilige Messen nacheinander mitzufeiern, so sah man sie während aller hl. Messen
in ehrfürchtiger, straffer Haltung – nie ein Anlehnen, nie ein Sitzen. Und in jeder heiligen Messe folgte sie mit großer Andacht
allen Gebeten des Priesters.« 12
Von 1923 bis 1931 ist Edith Stein als Lehrerin in Speyer tätig. Ihre Schülerinnen sind beeindruckt von ihrer starken Persönlichkeit
und ihrer wachen Intelligenz. Zur eigentlich philosophischen Tätigkeit kehrt sie zurück, als sie ihre Beschäftigung mit Thomas
von Aquin (um 1225 – 1274) beginnt. Stein kann den möglichen Eintritt ins Kloster sehr gut verbinden mit dem Wunsch, sich auch weiterhin der Philosophie
zu widmen. »In der Zeit unmittelbar vor und noch eine ganze Weile nach meiner Konversion habe ichnämlich gemeint, ein religiöses Leben führen heiße, alles Irdische aufgeben und nur in Gedanken an göttliche Dinge leben.
Allmählich habe ich aber einsehen gelernt, dass in dieser Welt anderes von uns verlangt wird und dass selbst im beschaulichsten
Leben die Verbindung mit der Welt nicht durchschnitten werden darf ...« 13
Philosophie ist für Edith Stein ganz im Sinne von Husserl und Thomas von Aquin »strenge Wissenschaft«. »Es ist dabei nicht
an eine Analogie mit irgendeiner anderen Wissenschaft zu denken. Es bedeutet nur, dass Philosophie keine Sache der Gefühle
und der Phantasie, der hochfliegenden Schwärmerei oder auch der persönlichen Ansicht, sozusagen Geschmackssache, ist, sondern
eine Sache der ernst und nüchtern forschenden Vernunft.« 14 Was Thomas von Aquin von Husserl unterscheidet, ist, dass es bei ihm nicht nur die natürliche Vernunft gibt, sondern auch
die übernatürliche, ins Göttliche reichende. Für Edith Stein ist der der Gnade Gottes zu verdankende Glaube zum ersten Prinzip
geworden. Was sich daraus jedoch theoretisch ergibt, bleibt Sache der Philosophie.
Aber Edith Stein hat außer dem Philosophieren und dem Unterrichten noch andere Aufgaben. Zwischen 1928 und 1932 hält sie an
verschiedenen Orten Vorträge zu Frauenfragen. Dabei interessiert sie sich nicht nur für den Gleichheitsgedanken, sondern auch
für die Frage nach dem Unterschied zwischen den Geschlechtern. Stein ist der Meinung, die Frau entscheide sich in den sie
betreffenden Dingen für einen persönlicheren Zugang als der Mann. Der Mann gehe viel sachlicher und unpersönlicher an die
Themen heran. Um zu einer ausgewogenen Persönlichkeit heranzureifen, bedarf es nach Edith Steins Meinung beider Elemente und
man sollte sachlich wissenschaftlicharbeiten können, ohne den persönlichen Aspekt zu vernachlässigen.
In ihren Vorträgen zur Frauenfrage ist Steins Ansicht oft
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