Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben

Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben

Titel: Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Gleichauf
Vom Netzwerk:
nicht anders handelt, ist schwer auszumachen. Vielleicht hätte sich Steins
     eigenes Leben anders entwickelt, wenn sie Philosophieprofessorin an einer Universität hätte werden können oder wenn sie geheiratet
     hätte, was sie sich im Fall von Hans Lipps durchaus hätte vorstellen können. Aber nun ist alles anders gekommen: Am ersten
     Januar 1922 lässt Edith Stein sich taufen.
    Schwerer als alles andere ist es, ihrer Mutter diesen Schritt zu beichten und zu erklären. Die ist entsetzt, und mehr noch,
     sie hat ein schlechtes Gewissen, weil sie meint, ihren Kindern den jüdischen Glauben nicht intensiv genug nahegebracht zu
     haben. In der ersten Zeit nach Edith Steins Geständnis verbietet sie ihrer Tochter sogar das Haus. Auch über ein Gespräch
     kommt es nicht zum gegenseitigenVerständnis. Doch es ist nicht nur die Mutter, die nicht versteht, auch Edith ist so überzeugt von der Wahrheit ihres neuen
     Glaubens, dass sie die Brücke nicht schlagen kann. Zwei radikale und konsequente Frauen treffen aufeinander, jede zeigt sich
     ganz und gar erfüllt von ihrer Religion. Zwischen ihnen klafft ein Spalt, den selbst die Liebe, die sie füreinander empfinden,
     nicht schließen kann.
     
    Für Edith Stein beginnt ein neues Leben. Sie wird es mit der gleichen Radikalität leben wie das vergangene. Die wissenschaftliche
     Arbeit hat zunächst einmal zu ruhen. Stein unterrichtet Deutsch und Geschichte im Lehrerinnenseminar der Dominikanerinnen
     in Speyer, wo sie nur ein winziges Zimmerchen bewohnt, aber wegen der großen räumlichen Nähe die Möglichkeit hat, so oft in
     die Kirche zu gehen, wie sie möchte. Und jetzt, so kurz nach dem Übertritt zum Katholizismus, tut sie nichts lieber: »Konnte
     sie es möglich machen, bei Gelegenheit drei heilige Messen nacheinander mitzufeiern, so sah man sie während aller hl. Messen
     in ehrfürchtiger, straffer Haltung – nie ein Anlehnen, nie ein Sitzen. Und in jeder heiligen Messe folgte sie mit großer Andacht
     allen Gebeten des Priesters.« 12
    Von 1923 bis 1931 ist Edith Stein als Lehrerin in Speyer tätig. Ihre Schülerinnen sind beeindruckt von ihrer starken Persönlichkeit
     und ihrer wachen Intelligenz. Zur eigentlich philosophischen Tätigkeit kehrt sie zurück, als sie ihre Beschäftigung mit Thomas
     von Aquin (um 1225   –   1274) beginnt. Stein kann den möglichen Eintritt ins Kloster sehr gut verbinden mit dem Wunsch, sich auch weiterhin der Philosophie
     zu widmen. »In der Zeit unmittelbar vor und noch eine ganze Weile nach meiner Konversion habe ichnämlich gemeint, ein religiöses Leben führen heiße, alles Irdische aufgeben und nur in Gedanken an göttliche Dinge leben.
     Allmählich habe ich aber einsehen gelernt, dass in dieser Welt anderes von uns verlangt wird und dass selbst im beschaulichsten
     Leben die Verbindung mit der Welt nicht durchschnitten werden darf   ...« 13
    Philosophie ist für Edith Stein ganz im Sinne von Husserl und Thomas von Aquin »strenge Wissenschaft«. »Es ist dabei nicht
     an eine Analogie mit irgendeiner anderen Wissenschaft zu denken. Es bedeutet nur, dass Philosophie keine Sache der Gefühle
     und der Phantasie, der hochfliegenden Schwärmerei oder auch der persönlichen Ansicht, sozusagen Geschmackssache, ist, sondern
     eine Sache der ernst und nüchtern forschenden Vernunft.« 14 Was Thomas von Aquin von Husserl unterscheidet, ist, dass es bei ihm nicht nur die natürliche Vernunft gibt, sondern auch
     die übernatürliche, ins Göttliche reichende. Für Edith Stein ist der der Gnade Gottes zu verdankende Glaube zum ersten Prinzip
     geworden. Was sich daraus jedoch theoretisch ergibt, bleibt Sache der Philosophie.
    Aber Edith Stein hat außer dem Philosophieren und dem Unterrichten noch andere Aufgaben. Zwischen 1928 und 1932 hält sie an
     verschiedenen Orten Vorträge zu Frauenfragen. Dabei interessiert sie sich nicht nur für den Gleichheitsgedanken, sondern auch
     für die Frage nach dem Unterschied zwischen den Geschlechtern. Stein ist der Meinung, die Frau entscheide sich in den sie
     betreffenden Dingen für einen persönlicheren Zugang als der Mann. Der Mann gehe viel sachlicher und unpersönlicher an die
     Themen heran. Um zu einer ausgewogenen Persönlichkeit heranzureifen, bedarf es nach Edith Steins Meinung beider Elemente und
     man sollte sachlich wissenschaftlicharbeiten können, ohne den persönlichen Aspekt zu vernachlässigen.
    In ihren Vorträgen zur Frauenfrage ist Steins Ansicht oft

Weitere Kostenlose Bücher