Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben
liebsten sterben. Aber
sobald die Schmerzen nachlassen, stürzt sie sich in all die Aufgaben, die ihr im Leben wichtig erscheinen. Im Grunde ist sie
voller Vitalität: Sie schreibt zum Beispiel Artikel für die Arbeiterzeitung
Entre nous,
in denen sie den Arbeitern unter anderem die klassische griechische Literatur nahebringen will.
Allerdings kann sie nur noch bis zum Ende des Jahres 1935 in Bourges bleiben, obwohl sie hier als Lehrerin anerkannt ist und
sich mit ihren Kollegen besser versteht als mit denen an den anderen Schulen. Ihren spezifischen Lebensstil behält sie jedoch
bei. Und weil sie nicht richtig ins Bild der Stadt passt, wünschen vor allem die bürgerlichen Kreise ihren Weggang. Diese
Lehrerin wirbelt zu viel Staub auf, und warum sie sich vorrangig um die Belange der Arbeiter kümmert, wollen die feinen Leute
nicht verstehen.Doch Simone Weil wird deshalb ihre Ansichten und ihr Auftreten in der Öffentlichkeit nicht ändern. Diese Philosophin ist keine
Bewohnerin des Elfenbeinturms, sondern eine Person, die die Öffentlichkeit sucht, um ihre Gedanken »unters Volk« zu bringen.
Ein neues »Abenteuer« wartet bereits: In Spanien bricht im Juli 1936 der Bürgerkrieg aus. Das Militär, das sich aus Monarchisten,
Teilen der katholischen Kirche und Faschisten zusammensetzt, erhebt sich gegen die Volksfrontregierung, in der sich Republikaner,
Kommunisten, Sozialisten und Syndikalisten finden. Das Ausland mischt kräftig mit, und die neuesten Waffen werden ausprobiert
– eine gute Übung für den nahe bevorstehenden Zweiten Weltkrieg.
Simone Weil ist erklärte Pazifistin und fühlt sich dennoch verpflichtet, sich jetzt auf die Seite der Schwächeren zu stellen.
Sie reist nach Barcelona und schließt sich einer kleinen Gruppe von zweiundzwanzig Leuten an, sogenannten Syndikalisten. Die
Bewegung der Sydikalisten hatte sich am Ende des 19. Jahrhunderts gebildet. Sie sind gegen Parteien und setzen sich für die »direkte Aktion« ein sowie für eine Stärkung der Gewerkschaften.
Die Gruppe, zu der Simone Weil gehört, ist in Pina am Ufer des Ebro stationiert. Sie besteht vor allem aus Franzosen und Russen,
aus deutschen Emigranten und US-amerikanischen Intellektuellen. Weil will auf keinen Fall im »Lager des Siegers« sein. Sie
ist der Ansicht, nur ein Gleichgewicht der Kräfte könne für dauerhaften Frieden sorgen. Deshalb lässt sich die überzeugte
Pazifistin sogar zum »Dienst an der Waffe« ausbilden. »Nur das Gleichgewicht vernichtet die Gewalt. Weiß man, wodurch das
Gleichgewicht der Gesellschaftgestört ist, so muss man sein Möglichstes tun, um der zu leichten Schale ein Gewicht hinzuzufügen. Auch wenn das Gewicht das
Böse ist, so mag es, wenn man es in dieser Absicht handhabt, dennoch vielleicht gelingen, sich nicht zu beflecken.« 15
Ihre Ungeschicklichkeit und die starke Kurzsichtigkeit zwingen Simone Weil jedoch, zurückhaltend zu sein in ihrem tatkräftigen
Engagement. Dennoch kommt es eines Tages zu einem Unfall. Man hat ein Loch für den Kochtopf ins Unterholz gegraben, damit
das Feuermachen die Leute nicht verrät. Ihre Augen spielen Weil einen bösen Streich, sie bemerkt das Loch nicht und tritt
mit dem Fuß in einen Topf mit heißem Öl. Damit ist ihr Intermezzo an der Front beendet und sie muss wegen schwerer Verbrennungen
ins Krankenhaus nach Barcelona. Die Eltern bringen sie von dort nach Sitges in ein Krankenhaus. Der Vater ist jedoch mit der
dortigen Behandlung so unzufrieden, dass er seine Tochter in einem Hotelzimmer selbst pflegt.
Aus der Distanz erfährt Simone Weil dann, welche Grausamkeiten die von ihr unterstützten Syndikalisten begehen. Diese Tatsache
belastet ihr Gewissen und zwingt sie, erneut nachzudenken über den Sinn beziehungsweise Unsinn von Gewalt. Sie geht mit den
Eltern nach Paris zurück, wo sie die Nachricht ereilt, dass ihre Gruppe zerschlagen und viele Mitglieder getötet wurden. Der
Unfall hat ihr also höchstwahrscheinlich das Leben gerettet.
Der Bürgerkrieg in Spanien entwickelt sich immer mehr zu einem Krieg zwischen verschiedenen Staaten. In einem Zeitungsartikel
schreibt Weil: »Wenn das Unglück der Zeit will, dass der Bürgerkrieg heute ein Krieg ist wie jeder andere und fast unausweichlich
zu einem internationalenKrieg wird, kann man daraus nur den Schluss ziehen: auch den Bürgerkrieg vermeiden.« 16
Simone Weil schreibt Artikel für Zeitungen, in denen es hauptsächlich um
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