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Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben

Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben

Titel: Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Gleichauf
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der Frauen wirklich voranzutreiben. »Es könnte sein,
     dass die Natur stärker von Sitte und Gesetz geprägt ist, als wir gemeinhin glauben.« 10 Wie Simone de Beauvoir ist also auch Martha Nussbaum der Überzeugung, es gebe keine Natur der Frau im Gegensatz zu einer
     Natur des Mannes. Auch Nussbaum vertritt die These, dass man nicht als Frau oder als Mann geboren wird, sondern durch Erziehung
     und andere kulturelle, religiöse und gesellschaftliche Faktoren zu einem geschlechtsspezifischen Denken und Handelngebracht wird. Nussbaum nennt ihre philosophische Methode des Fragens »universalistisch« und »essentialistisch«. Sie möchte
     über die eigenen kulturellen Grenzen hinausdenken und zum Kern dessen vorstoßen, was allen Menschen ein lebenswertes Leben
     gestatten könnte. Genauer gesagt heißt das, sie untersucht die Menschen unabhängig von geschlechtsbezogener, lokaler, kultureller,
     rassischer Zugehörigkeit. Es spielt keine Rolle, ob es Chinesen, Inder, Italiener oder Amerikaner sind, denn bestimmte Fähigkeiten
     sind all diesen Menschen eigen. Sie gehören zum Essenziellen, zum Wesentlichen des Menschseins dazu. »Was tut der Mensch als
     solcher – und nicht als Mitglied einer bestimmten Gruppe oder einer bestimmten lokalen Gemeinschaft?« 11 Nussbaum strebt danach, international geltende Kriterien für ein im vollen Sinn menschliches Leben zu finden. Schließlich
     können Menschen einander erkennen, auch wenn sie in verschiedenen Zeiten und kulturellen Zusammenhängen leben. Es sind bestimmte
     Dinge, die alle Menschen teilen, und Martha Nussbaum versucht, sie herauszufinden. Nussbaum spricht in diesem Zusammenhang
     immer wieder von »capabilities«, womit Fähigkeiten oder Begabungen gemeint sind. Sie möchte damit sagen, dass alle Menschen
     sich mit Grundgegebenheiten und Möglichkeiten ihres Daseins auf irgendeine Weise auseinandersetzen.
    Die erste dieser Fähigkeiten ist das
Wissen um den Tod.
Alle Menschen wissen, dass sie sterblich sind, und sie freuen sich nicht darüber. Zwar kann es Momente geben im Leben, in
     denen man sich nach Ruhe sehnt und das Ende des Lebens herbeiwünscht, aber dies sind Extremsituationen. Normalerweise bereitet
     der Tod anderer einem Sorge und Schmerz und man hat Angst vor dem eigenen Tod.
    Eine große Bedeutung hat für Nussbaum auch dermenschliche
Körper
, wenn es darum geht, das zu benennen, was allen Menschen gemeinsam ist. Ein Grundbedürfnis ist beispielsweise die Empfindung
     von
Hunger und Durst
, die zwar kulturell unterschiedlich befriedigt wird, die menschliche Spezies aber insgesamt auszeichnet. Ebenso existenziell
     ist das Bedürfnis nach
Schutz
, wir wollen wohnen und wir wollen uns kleiden. Nussbaum zählt auch das
sexuelle Verlangen
dazu, obwohl wir es nicht zum Überleben brauchen, aber es ist dennoch aus unserem Leben nicht wegzudenken: »Es war und ist
     eine sehr wichtige Voraussetzung dafür, dass wir Menschen, die sich von uns unterscheiden, als solche erkennen.« 12 Als letztes durch den Körper bedingtes Merkmal nennt Nussbaum die
Mobilität:
»Die Menschen bewegen sich gerne fort und mögen es nicht, wenn sie ihrer Mobilität beraubt sind.« 13
    Nussbaum ist aber damit noch nicht am Ende ihrer Liste der »capabilities«, die jeder Mensch hat. Da sind noch die Erfahrungen
     von
Freude und Schmerz.
Es ist allen Menschen zu eigen, dass sie lieber Freude als Schmerz empfinden, obwohl auch hier kulturelle Zugehörigkeiten
     eine große Rolle spielen. Genauso verhält es sich mit den Fähigkeiten, die
Wahrnehmungen
sowie die
Denk- und Vorstellungsfähigkeit
betreffen. Zwar können diese Fähigkeiten gestört werden durch Unfälle, angeborene Schäden und so weiter, aber trotzdem sind
     sie als solche typisch für den Menschen. Alle Menschen nehmen über die Sinne wahr, können sich alles Mögliche vorstellen,
     denken nach und wollen ihr Wissen erweitern.
    Am Anfang eines jeden Menschenlebens steht die
Kindheit.
»Alle Menschen beginnen ihr Leben als hungrige Säuglinge, die ihre eigene Hilflosigkeit empfinden und abwechselnd Nähe und
     Distanz denjenigen gegenüber erfahren,von denen sie abhängig sind.« 14 Egal, wie die Regeln sind, nach denen Kinder erzogen werden, sie brauchen die Nähe und Fürsorge Erwachsener, sonst können
     sie nicht wachsen und überleben. Und gerade das Faktum, dass wir alle einmal Kinder waren, kann mithelfen beim Prozess des
     gegenseitigen Erkennens. Außerdem wäre eine Gesellschaft, die sich um ihre

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