Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben
Nussbaum im Jahr 2002 in einem Essay für
Die Zeit
behandelt. Der Essay hat den Titel
Schöne gute Welt
und beschäftigt sich mit Gentechnologie. Nussbaum stellt die Frage, was es für eine Gesellschaft bedeuten würde, wenn es möglich
wäre, Menschen im Mutterleib gentechnisch zu manipulieren. Die Frage der Chancengleichheit spielt bei dieser Möglichkeit eine
große Rolle. Reiche Leute könnten sich sozusagen ein gentechnisch optimiertes Kind kaufen, während ärmere Menschen diese Möglichkeit
nicht hätten. Und was, wenn die Gentechnik in die Hände religiöser oder politischer Fanatiker geriete?
»Jeder, der in Sport schlecht war oder ein geschlechtliches Stereotyp körperlich nicht erfüllen kann, weiß, dass mit ›Beeinträchtigungen‹
echtes Leiden verbunden sein kann. Besorgte Eltern könnten also durchaus genetische Eingriffe verlangen, um das zu verhindern,
und auf diese Weise eine Nation vollbusiger Frauen und muskelbepackter Männer erzeugen.« 22 Nussbaum aber wehrt sich gegen eine »Tyrannei der Konformität«. Wäre es nicht schrecklich, wenn alle Menschen nach demselben
Ideal gebautwerden könnten? Liegt nicht in der Vielfalt der eigentliche Reichtum menschlichen Lebens?
Nussbaum erzählt aus ihrem eigenen Leben, um ihre These zu verdeutlichen: Ihre Tochter wurde mit einer Beeinträchtigung der
Wahrnehmungsfähigkeit und der Motorik geboren. So konnte sie mit zwei Jahren lesen, aber erst mit acht Jahren die Schuhe binden.
Das bedeutete für das Mädchen während der gesamten Jugendzeit einen Kampf. Immer musste sie mit dem Spott ihrer Mitmenschen
rechnen. »Ihre eigenwillige, lebendige, humorvolle und sehr unabhängige Persönlichkeit ist ohne diese Kämpfe nicht denkbar.« 23 Martha Nussbaum erklärt, sie habe sich kein anderes Kind gewünscht und sei froh, dass ihre Tochter nicht »genetisch korrigiert«
worden sei. Es geht Nussbaum darum, dass eine Gesellschaft es immer wieder lernen muss, mit Vorurteilen gegenüber Menschen
mit Beeinträchtigungen oder nicht normgerechtem Verhalten umzugehen. Es müsse gewährleistet werden, dass es eine Pluralität
der Lebensweisen geben kann. Außerdem ist sie auch der Meinung, man sollte es nicht den Eltern überlassen, zu entscheiden,
wie ihre Kinder sein sollen, denn Eltern seien in dieser Hinsicht schlechte Richter und würden dazu neigen, Individuelles
zu »verbessern« und sich an der Norm orientieren. Nussbaum untersucht also, was man mit der Gentechnologie anstellen kann.
Sie betrachtet sie vom Standpunkt der Ethikerin aus. Soll man das, was es gibt, auch immer anwenden? Sollen alle Möglichkeiten
der Forschung in die Wirklichkeit umgesetzt werden oder gibt es Grenzen? Von ihrem Fähigkeitenkatalog ausgehend, erklärt Nussbaum
die Gentechnologie für gefährlich, weil sie die Möglichkeiten des Individuums einschränkt. Ihrem Begriff des Menschlichen
des Menschenwiderspricht eine hemmungslose Anwendung der Gentechnologie.
Martha C. Nussbaum legt großen Wert auf eine umfassende Bildung. Sie ist der Meinung, Wissen über andere Kulturen und das Erlernen mindestens
einer Fremdsprache seien unbedingt erforderlich. Auch über Minoritäten im eigenen Land müsse man Bescheid wissen. Ein ganz
wichtiger Punkt betrifft die Vorstellungskraft. Sie ist zu schulen, damit wir in der Lage sind, Verhaltensweisen und Lebensformen
zu verstehen, die verschieden sind von den unseren. Eine große Bereicherung für jeden Menschen ist die Begegnung mit der Kultur,
mit Kunst, Literatur, Malerei und Musik anderer Völker. In Wissenschaft und Forschung sollten Geisteswissenschaften und musische
Fächer einen ebenso großen Stellenwert bekommen wie Naturwissenschaft und Technik. Auch der Philosophie sollte ein höherer
Stellenwert zugestanden werden. Philosophiekurse für Jugendliche und Erwachsene sollten in breitem Umfang angeboten werden.
Dadurch kann zu all dem, was gelernt wird, was an Wissen angehäuft wird, ein Horizont hinzukommen und der betrifft die Frage
nach einem guten Leben für alle.
Martha Nussbaum sieht sich in der Tradition des griechischen Philosophen Aristoteles. Oft bezeichnet sie sich selbst als Aristotelikerin.
Dabei interessiert sie vor allem die politische Philosophie von Aristoteles. »Aristoteles sprach über den Menschen und das
gute menschliche Leben. Er sprach auch über die Gestaltung der staatlichen Institutionen in den vielen Lebensbereichen, die
seiner Ansicht nach in die
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