Denken hilft zwar, nutzt aber nichts
fragte ich, ob sie theoretischbereit wären, mir für eine zehnminütige Lesung 10 Dollar zu bezahlen; ihre Antwort sollten sie aufschreiben. Die andere Hälfte sollte aufschreiben, ob sie bereit wären, einer zehnminütigen Lesung von mir zu lauschen, wenn ich ihnen 10 Dollar bezahlte.
Das war natürlich der Anker. Dann bat ich die Studenten, Gebote für einen Platz in meiner Lyriklesung abzugeben. Was meinen Sie? Hat dieser erste Anker die nachfolgenden Gebote beeinflusst?
Ehe ich Ihnen die Antwort verrate, sollten Sie zwei Dinge bedenken. Zum einen bin ich nicht gerade ein begnadeter Rezitator von Gedichten. Geld für eine zehnminütige Lesung von mir zu verlangen könnte deshalb als reichlich unverfroren angesehen werden. Zum anderen mussten die Studenten gar nicht bieten, auch wenn ich sie gefragt hatte, ob sie mir für das Privileg, meine Lesung zu hören, etwas bezahlen würden. Sie hätten den Spieß umdrehen und verlangen können, dass ich ihnen etwas bezahle.
Und jetzt das Ergebnis (Trommelwirbel, bitte). Diejenigen, die die theoretische Frage, ob sie mir etwas bezahlen würden, mit Ja beantwortet hatten, waren tatsächlich bereit, mich für dieses Privileg zu bezahlen. Sie boten im Durchschnitt rund einen Dollar für die kurze Lyriklesung, etwa zwei Dollar für die mittellange und etwas mehr als drei Dollar für die lange Lesung. (Vielleicht könnte ich mir so auch außerhalb der akademischen Hallen meine Brötchen verdienen.)
Aber was war mit denjenigen, die sich an dem Gedanken verankert hatten, fürs Zuhören bezahlt zu werden (anstatt mich zu bezahlen)? Wie Sie vielleicht schon ahnen, wollten sie tatsächlich Geld haben: Sie verlangten im Durchschnitt 1,30 Dollar für die kurze Lyriklesung, 2,70 Dollar für die mittellange und 4,80 Dollar für die lange Lesung.
Es gelang mir also, fast wie Tom Saywer, aus einem ambivalenten Erlebnis (und wenn Sie mich Gedichte rezitieren hören würden, wüssten Sie, wie ambivalent dieses Erlebnis tatsächlich ist) willkürlich ein angenehmes oder unangenehmes Erlebnis zu machen. Niemand in beiden Studentengruppen wusste, ob die Qualität meines Gedichtvortrags ein Eintrittsgeld wert oder eher dergestalt war, dass man ihn sich nur gegen eine finanzielle Gegenleistung anhören würde (sie wussten nicht, ob es angenehm oder unangenehm sein würde). Doch sobald sich der erste Eindruck gebildet hatte (dass sie mir oder ich ihnen etwas zahlen würde), waren die Würfel gefallen und der Anker gesetzt. Überdies folgten die anderen Entscheidungen dieser ersten Entscheidung in offenbar logischer und kohärenter Weise. Die Studenten wussten nicht, ob es eine gute oder eine schlechte Erfahrung sein würde, mich Gedichte rezitieren zu hören, aber ganz gleich, wie ihre erste Entscheidung aussah, sie benutzten sie als Input für die nachfolgenden Entscheidungen und lieferten ein über alle drei Lesungen kohärentes Antwortmuster.
Natürlich kam Mark Twain zu dem gleichen Schluss: »Wäre Tom ein großer und weiser Philosoph gewesen, wie der Verfasser dieses Buches, hätte er jetzt erkannt, dass all das Arbeit ist, was ein Mensch gezwungen ist zu tun, und all das Spiel, was ein Mensch nicht gezwungen ist zu tun.« Und weiter beobachtete Mark Twain: »In England gibt es reiche Gentlemen, die im Sommer tagtäglich zwanzig oder dreißig Meilen mit einem Vierspänner herumkutschieren, weil dieses Privileg sie eine beträchtliche Summe Geld kostet; würde man sie für diese Dienstleistung aber entlohnen wollen, würde Arbeit daraus, und sie würden darauf verzichten.« *
Wohin führen uns diese Gedanken? Zum einen veranschaulichen sie, dass bei vielen Entscheidungen, die wir treffen – von banalen bis zu schwerwiegenden –, Verankerungen mitspielen. Wir entscheiden, ob wir uns einen Big Mac kaufen, rauchen, bei Rot über die Straße gehen, in Patagonien Urlaub machen, uns Tschaikowsky anhören, uns mit einer Dissertation herumschlagen, heiraten, Kinder haben, im Grünen wohnen, konservativ wählen und so weiter – oder nicht. Ökonomischer Theorie zufolge stützen wir uns bei diesen Entscheidungen auf unsere grundlegenden Wertvorstellungen – unsere Vorlieben und Abneigungen.
Doch was lehren uns diese Experimente über unser Leben im Allgemeinen? Könnte es sein, dass unser so sorgfältig aufgebautes Leben größtenteils schlicht ein Produkt willkürlicher Kohärenz ist? Könnte es sein, dass wir unser Leben auf irgendwann in der Vergangenheit getroffenen willkürlichen
Weitere Kostenlose Bücher