Denken Mit Dem Bauch
Gebiet von 4 Quadratkilometern. Da wurden bei Nacht und Nebel unter Inkaufnahme hoher Straf-Androhungen Wohnungen ausgeräumt und Supermärkte
geplündert. Dass die mehr als 6300 Plünderer sich dabei weder um Moral noch um Ethik und Sozialverträglichkeit kümmerten, stand zu erwarten.
Die Polizeibehörde sprach davon, dass man unter den
festgenommenen Plünderern alle Berufsgruppen angetroffen habe: vom Arzt über den Rechtsanwalt bis hin zum
Schuhputzer. Es sei also kein Phänomen der gesellschaftlichen Unterschicht gewesen. Bei allen diesen »menschlichen«
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Aktivitäten spielt Kognos (der Kopf) offenbar keine Rolle - der Bauch wird wach, nur er denkt beim Plündern, Morden und Brandschatzen - niemand sonst.
Dass dies seit Jahrtausenden unser inneres Programm ist, zeigt die Tatsache, dass wir Menschen seit den frühen Anfängen der Geschichtsschreibung Geschichten über mörderische Kriege aufgeschrieben haben. Zurzeit finden auf diesem Planeten um die 140 kriegerische Auseinandersetzungen statt. Nicht eine einzige davon ist durch Kognos ausgelöst. Alle kamen und kommen aus dem Bauch und dem Nylonstrumpf. Das
»Unmenschliche« ist zutiefst »menschlich« begründet. Insoweit kann man sicher prognostizieren, dass wir auch zukünftig mit Krieg und Elend leben werden. Vermutlich noch einige
Millionen Jahre lang, falls die Erde so lange mitmacht.
FAZIT
• Es besteht eine gewaltige Diskrepanz zwischen den sozial erwünschten Absichtserklärungen, die wir Menschen (nicht nur im Berufsleben) abgeben, und der tatsächlich gelebten Realität.
• Das Bauchdenken wirkt stärker in uns, als wir vermuten.
Das Bauchdenken (besonders das Ur-Rivalitätsprogramm)
hindert uns ständig daran, freiwillig sozialverträglich miteinander umzugehen.
• Wir reagieren nur dann sozialverträglich gegenüber anderen, wenn die Abwägung zwischen Moralertrag und Moralaufwand zugunsten des sozialverträglichen Umgangs spricht. Ist der Moralertrag zu teuer, lassen wir es.
• Wir gehen nur dann sozialverträglich mit anderen um, wenn wir permanent dazu aufgefordert werden.
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Das Stufensystem der moralischen Bauchreife
Die Philosophie denkt seit Jahrhunderten über das menschliche Phänomen der moralischen Reife von Entscheidungsprozessen nach. Auch in diesem Buch haben wir gesehen, dass
Bauchentscheidungen nur insoweit moralisch hochwertig sind, wie sie dem Eigentümer des Bauches einen irgendwie gearteten Nutzen bringen. Und, wie gesagt, der Bauch und sein
enterisches System sind amoralisch, also weder gut noch schlecht. Sie sind moralisch neutral, sozusagen.
Über das Thema der Moral und der guten oder bösen
Entscheid ungen wurde viel geschrieben. Große Philosophen dachten darüber nach. Immanuel Kant (1724 bis 1804) zum Beispiel. Der kluge Kant studierte Mathematik, Philosophie und Naturwissenschaften in Königsberg, wo er auch später, 1770, Professor für Metaphysik und Logik wurde. 1781 erschien sein Superwerk: Die Kritik der reinen Vernunft. 1788 veröffentlichte er Die Kritik der Praktischen Vernunft. Da war er bereits Rektor der Universität Königsberg. Er hielt in seinen Werken ein moralisches Ordnungssystem für zwingend nötig - wie wir in diesem Buch auch.
Er ging davon aus, dass Menschen (bzw. soziale Systeme, in denen Menschen leben) ohne ein irgendwie organisiertes Moralsystem in große Schwierigkeiten kommen könnten. Kant war klar, dass der Mensch irgendwo etwas Archaisches haben musste, das ihn daran hindert, von sich aus und in sich moralisch zu denken und zu fühlen. Er stellte daher in seinen beiden Standardwerken Regeln auf, die das sozialverträgliche Umgehen der Menschen miteinander sichern helfen sollten, wissend, dass der »Bauch« eben unvorstellbar archaisch reagieren kann.
Gleiche Verse waren vor rund 2000 Jahren bei Moses in
Ägypten ebenfalls bekannt - und aufgeschrieben. Da standen auf
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ein paar Steintafeln solch einfache Dinge wie… nicht töten, Eltern ehren, deinen Nächsten lieben… und so weiter. Das nannten wir dann die Zehn Gebote. Seit Jahrtausenden haben sich die Menschen, ob gläubig oder ungläubig, ob Ägypter, Mayas, Muslime, Hindus, Christen oder Stammeshäuptlinge in Guinea, darauf verständigt, sich mit diesen uralten Regeln zu umgeben. Damit nicht alles schief geht, damit die Anarchie nicht überhand nimmt, damit die Dinge noch einigermaßen beherrschbar bleiben. Der Knigge für die Urvölker funktionierte nach sehr einfachen, aber wirksamen
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