Denken Mit Dem Bauch
Regeln: Was du nicht willst, das man dir tu - das füg auch keinem anderen zu.
Immanuel Kant formulierte diese simple Wahrheit
Jahrhunderte später wissenschaftlich korrekt: »Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.« Natürlich wimmelt die Geschichte von Verstößen gegen den kategorischen
Imperativ von Immanuel Kant. Genau genommen ist die
gesamte Menschheitsgeschichte eine endlose Serie von
Versagern, wenn es um den »Kant-Knigge« geht. Kein Mensch von Rang hat sich bisher ernsthaft an diese Spielregel gehalten weder Pharao Echnaton noch Pontius Pilatus, weder Napoleon noch manche Politiker unserer Tage. Und all die alten und neuen
»Hitlers«, »Saddam Husseins« und »Bin Ladens« auf dieser Welt schon gar nicht.
Aber immerhin haben sich die Regeln bis heute gehalten. Was zumindest darauf schließen lässt, dass wir sie zumindest theoretisch anerkennen. Doch den meisten fehlt es aber wohl an moralischer Kraft und ethischer Stärke, sich auch nur
einigermaßen verlässlich daran zu halten.
Moral, so sagt das Lexikon, ist ein System von
Glaubenssätzen und Werthaltungen, das dazu dienen soll, richtig von falsch zu unterscheiden. Das Moralsystem soll sicherstellen, dass sich Menschen gegenüber anderen Menschen in einem sozialen Verbund (Gesellschaft) so verhalten bzw. so handeln,
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dass sie die Rechte der anderen nicht verletzen.
Auf der Leiter der Moral hängt so mancher in den Sprossen 1999 beschäftigte sich zum xten Mal ein Team von
Wissenschaftlern der Yale-Universität (unter der Leitung von Steward Erikson) mit der Frage der Moralentwicklung bei Menschen. Annähernd jedes Jahr finden diese Untersuchungen statt. So kann beobachtet werden, wie sich von Generation zu Generation etwas verändert - oder auch nicht. Die
Fragestellungen der Versuchsanordnung sind spannend: Hängt etwa moralisches Wissen mit moralischem Handeln zusammen?
Handelt der, der mehr weiß über Moral, tatsächlich moralischer?
Hat Moral etwas mit Intelligenz zu tun? Sind ältere Menschen moralischer als junge? Und so weiter…
Die Wissenschaftler legten 400 Kindern im Alter von 10 bis 14 Jahren einen Test vor, der Auskunft über den spezifischen Wissensstand in Sachen Moral geben sollte. Das Ergebnis war beruhigend. Offenbar hatten die Kinder ein recht umfangreiches moralisches Wissen angesammelt. Verhalten sie sich aber auch moralisch«? Das wäre ja zunächst einmal nur folgerichtig. Da Kinder für ihren Lebensunterhalt und ihr Überleben noch nicht selbst verantwortlich sind und auch keinem beruflichen oder politischen Machtsystem angehören, wäre es logisch, dass es Kindern sehr viel leichter fallen müsste, ihr Wissen über moralisches Verhalten auch aktiv anzuwenden. Die Kinder wurden nach dem Test in ihrem Verhalten beobachtet und regelmäßig zu den anstehenden Fragen interviewt. Die
Beobachtungen fanden meist in der Schule statt, seltener zu Hause.
Der Versuch lief über Wochen hinweg und die Ergebnisse der Beobachtungen und Interviews waren wenig überraschend. Sie glichen den Ergebnissen von 1922, dem Beginn der
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Untersuchung. Die Kinder waren in manchen Situationen
ehrlich - in anderen Situationen aber unehrlich. Statt einer allgemeinen Eigenschaft von Ehrlichkeit oder Unehrlichkeit zu folgen, entschieden die Kids situationsabhängig. Wenn das Ziel einer Handlung interessant schien, die »Belohnung« also verlockend war, wurde auch gern mal gelogen, um das Ziel zu erreichen - wenn das Risiko, ertappt zu werden, zu groß schien, war man ehrlich.
Es ist inzwischen eine gesicherte Erkenntnis der
Verhaltenspsychologen,
dass moralisches Wissen kein
moralisches Handeln bedingt - es besteht keine Abhängigkeit.
Folgerichtig gibt es also keine in der Persönlichkeit
grundsätzlich verankerte Moralinstanz. Moral kommt aus dem Bauch und ist situativ bedingt - in jeder auf uns wirkenden Situation wird vom Bauch entschieden: Lohnt es sich, gegen die Moral zu entscheiden - oder gibt es dann Ärger?
Aha, deshalb also so viel Korruption, Krieg, Plünderung und Ärger in dieser Welt? Ja, auch deshalb. Aber nicht nur, wie wir sehen werden. Die Wissenschaftler stufen das Moralverhalten von Menschen in sieben qualitative Kategorien ein.
In der niedrigsten Kategorie, der Stufe 1, befinden sich die Babys. Sie unterscheiden alles um sie herum amoralisch, also ohne jede Moral. Was nicht heißt, dass sie unmoralisch wären.
Sie
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