Denken Mit Dem Bauch
das Gleiche tun. Sich nämlich in dieser frischen, jungen Beziehung so verhalten, dass er sie lieben könnte. Dass dabei im Verhalten, in den Werten, in den Moraläußerungen, in den Normgefügen so gelogen wird, dass sich die Balken biegen, davon wissen wir Männer ganz besonders viel zu berichten.
Zum Beispiel teilt der Mann ihr mit, er liebe schon immer das Mollige an einer Frau. Unter 80 Kilo, das sei ja gar keine richtige Frau. Es wird vermutlich so sein, dass die Mollige ihm die Story abkauft und sich sehr gut fühlt bei dem Kauf. In der Tat hat er allerdings noch nie in seinem Leben eine Mollige gemocht. Sie ihrerseits verhält sich ebenso und berichtet ihm, ein richtiger Mann könne ruhig einen Bierbauch haben. Sie hat
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zwar noch nie Bäuche an Männern gemocht - Waschbrettbäuche ausgenommen. Das spielt aber im Moment der phantomhaften Selbstdarstellung keine große Rolle. Die Sehnsucht nach positiver Selbstdarstellung und Anerkennung ist stärker in unserem Bauch verankert als die Sehnsucht nach
Wahrhaftigkeit. Für Wahrhaftigkeit gibt es selten Applaus. Für gute Phantome schon.
Wenn Menschen sich so verhalten wie das beschriebene
Pärchen, nenne ich das eine Phantomkommunikation. Die
Kommunikation zwischen den zwei Partnern richtet sich nicht mehr an die beiden Menschen selbst - die Kommunikation bleibt an einer Art »Geisterbild« hängen und dringt zu der
tatsächlichen Persönlichkeit gar nicht mehr vor. Beide Beteiligten betrügen sich und den Partner also ziemlich heftig.
Es ist fast so, als würden zwei venezianische Masken
miteinander kommunizieren.
Mir sind Situationen in Partnerschaften bekannt, von denen ich weiß, dass nur noch und ausschließlich
Phantomkommunikation stattfindet. Wenn beide das tun - dann geht es meist lange gut. Bis zu dem berühmten Tag X. Bis zu dem Tag, wo einer der beiden sich die Frage stellt: Was, zum Teufel, tue ich hier eigentlich«? Ist der Nutzen meiner anstrengenden Phantomarbeit so hoch, dass es sich lohnt, das Phantom weiter aufrechtzuerhalten? Ich mag doch gar keine dicken Fraue n oder dickbäuchige Männer! Dann nimmt einer der beiden irgendwann die Phantommaske ab und redet endlich Klartext. Das ist dann vermutlich der Schluss von Lustig. Den Rest räumen dann wieder die Anwälte weg, wenn die beiden verheiratet wären.
Ob in unserem Privatleben, im Berufsleben, in der Politik und in allen anderen Lebensbereichen: Der Bauch neigt dazu, überaus schnell und intuitiv sicher dieses behagliche Phantom zu installieren und sich damit jeder echten kognitiven Überprüfung zu entziehen. Überprüfen kann das Gehirn nur
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noch die Lügen, die da kommen. Und da fehlt ihm der
Background. Also kann der Bauch so ziemlich machen, was er will.
Das Beispiel einer x-beliebigen Talkshow drängt sich auf.
Eine Fernsehsendung, in der Politiker zu Wort kommen. Der Politiker wird sich hüten, in der Fernsehöffentlichkeit etwas zu erklären, was seinen Wahlerfolg oder den Wahlerfolg seiner Partei in Frage stellen könnte. Er baut ein behagliches Phantom auf. Wenn er dennoch etwas tut oder sagt, was mit einfacher Wahrhaft igkeit zu tun hat und dadurch womöglich
Wählerstimmen einbüßt, war das ein glatter »Phantom-
ausrutscher«. Derjenige wird dann von seiner politischen Fraktion augenblicklich böse abgestraft. Dieses merkwürdige Politikerverhalten geht oft so weit, dass überaus komplexe und komplizierte soziale Lügengebilde nach außen formuliert werden. Weder sind die phantomhaften Versprechungen je zu realisieren, noch hat irgendwer von den Phantomen überhaupt die Absicht, das je zu tun. Das nennt man dann eine »Wahllüge«
aufbauen.
Aus der Sichtweise der Politiker kann ich das behagliche Phantomverhalten nachvollziehen. Es folgt einer einfachen psychologischen Regel, die so alt ist wie die Menschheit: Erinnern Sie sich…? Kein Mensch tut oder unterlässt etwas, ohne einen irgendwie gearteten Nutzen davon zu haben. Wo der Nutzen der Politiker ist, liegt auf der Hand. Hier geht es um Wählerstimmen und damit um Machterhalt. Machterhalt
bedeutet soziale Anerkennung und soziale Vollwertigkeit.
Interessant dabei ist die jeweilige Nutze nabwägung, die der Bauch betreibt. Ist der Nutzenertrag beim Bauen eines Phantoms mehr wert als der Nutzenertrag bei einem echten, authentischen Auftritt, dann wird ein Phantom gebaut. Steht zu vermuten, dass ein echtes, ein authentisches Auftreten mehr bringt, dann verhalten unsere Volksvertreter sich auch
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