Denken Mit Dem Bauch
»Stör mich nicht, sagte ich… was willst du überhaupt?«
Der Skorpion lächelte freundlich, als wäre nichts gewesen:
»Du kannst doch schwimmen, oder?«
»Quak, quak… pssst, leise, halt den Schnabel… ich fange gerade Fliegen,… ich möchte nicht noch mehr Fliegen
verpassen, nur weil du so neugierig bist… ja, ich kann gut schwimmen, aber wieso fragst du das?«, flüsterte der Frosch.
»Na ja, hier ist die Sonne hell, auf dieser Uferseite. Und es ist sehr heiß. Dort drüben, am anderen Ufer, dort im Schatten der Bäume, da gibt es bestimmt viel mehr Fliegen als hier in der Hitze der Mittagssonne, oder?«
»Mag sein… aber halte bitte jetzt den Schnabel… ich muss Fliegen fangen…«
Der Skorpion nickte und meinte: »Ja… ich verstehe… aber es wäre sehr viel besser, wenn du die Fliegen im warmen, feuchten Schatten der Bäume jagen würdest? Du könntest in null Komma nichts satt sein.«
»Im feuchten Schatten?«, fragte der Frosch. Er dachte einen Moment nach und sagte: »Da ist etwas dran…«
Er zog seine lange Zunge ein und sah den kleinen Skorpion an.
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»Da ist etwas dran…«,… wiederholte der Frosch und grinste.
Er machte sich auf den Weg zur Böschung des Baches. Der kleine Skorpion hüpfte dem Frosch hinterher und rief: »Hee…
Frosch… warte… du könntest mich mitnehmen und dort drüben am Ufer des Baches absetzen, falls du die Absicht hättest, hinüberzuschwimmen. Ich helfe dir drüben auch gerne, ein paar Käfer zu fangen, als Lohn für den Fährmann, sozusagen.«
Der Frosch hielt inne, sah sich um und glotzte den Skorpion listig an: »Du musst mich ja für ziemlich dumm halten, Skorpion… Ich bin doch nicht so blöde, dich Skorpion auf meinen Buckel zu nehmen und mit dir an das andere Ufer zu schwimmen. So blöde kann gar niemand sein. Du stichst mich mitten im Bach und dann bin ich tot. Nein, nein, ich nehme dich nicht mit, Skorpion, niemals.«
»El Locco, du Verrückter, was für ein Unfug«, sagte der Skorpion. »Niemals werde ich dich stechen. Und doch schon gar nicht mitten im Bach, du Dummkopf. Dann würde ich doch mit dir untergehen und tot sein. Ich kann doch nicht schwimmen.
Denk doch einmal logisch und folgerichtig, Frosch. Das würde ich doch nie tun, mich selber in eine solch tödliche Gefahr bringen.«
Der Frosch grübelte einen Moment nach, schnappte dabei eine Fliege und dachte logisch und folgerichtig. Dann nickte er. Er kam zu dem Schluss, dass der Skorpion Recht haben musste. Es wäre wirklich ziemlich unlogisch vom Skorpion und wenig folgerichtig, wenn er zustechen würde, um dann jämmerlich zu ertrinken und tot zu sein. So etwas tut wirklich kein vernünftig denkendes Wesen.
»In Ordnung«, sagte der Frosch, »hört sich sehr logisch an, ist sehr vernünftig, was du sagst, Skorpion. Steig auf, ich schwimme gleich los. Es kostet zwei Käfer.«
»Ist in Ordnung, das ist ein guter Preis. Die fange ich dir drüben, am anderen Ufer in Sekunden…«, sagte der Skorpion.
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Der Skorpion sprang mit einem Satz auf den Rücken des
Frosches. Der hüpfte in den Bach und paddelte los.
»Siehst du«, sagte der Skorpion, »geht doch alles gut. Du musst nur logisch denken.«
Der Frosch nickte zufrieden und paddelte kräftig weiter. Er war gerade in der Mitte des Baches angelangt, als ihm ein furchtbarer Schmerz durch den Rücken fuhr. Er bäumte sich auf und schrie erbärmlich: »Bist du des Wahnsinns«? Du hast mich gestochen, Skorpion. Jetzt gehe ich unter und du wirst auch sterben. Wo ist deine Logik geblieben, du dummer Skorpion?«
»Die ist wie weggeflogen, Frosch«, sagte der Skorpion, und stach erneut kräftig zu: »Weißt du, Fröschlein«, lächelte der Skorpion, »die Logik ist gut - aber ich kann sie nicht benutzen…
denn mein ewiges Programm lautet: Ich muss Frösche stechen…
das ist nun mal mein Programm. Also komm mir nicht mit Logik und solcherlei Unfug.«
Diese Geschichte ist über dreihundert Jahre alt. Sie ist recht präzise übersetzt worden und skizziert sehr deutlich, dass es uns Menschen oft nicht anders ergeht als dem Frosch: Wir gehen mit unserem angeblich »klugen« Kopf völlig logisch an eine Sache heran, paddeln kräftig los, sind in der Mitte des Baches und wundern uns wirklich, dass wir gegen alle Logik gestochen werden.
Oder andersherum: Wir entscheiden etwas sozial
Verträgliches, Logisches, hüpfen auf den Rücken eines anderen und fügen ihm dann dennoch Schaden zu. Und selbst wenn wir mit ihm untergehen
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