Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
zu Knappheiten in der Kleidung, die kaum eine Falte übrig ließen, so daß die genaueste Bezeichnung der darunter befindlichen Körperform der eigentliche Zweck und Ruhm dieser Mode zu sein schien. Dazu gehörten denn die wirklich oder scheinbar unter Tri-kots entblößten Arme, 'entblößte Schultern, geschnürte Schuhe, die den Kothurn nachahmten, reiche Arm-bänder, nicht bloß am Vorderarm wie sonst, sondern über dem Ellenbogen; abgeschnittenes und in kurze Locken gelegtes oder, wenn es lang blieb, in einen Knoten am Hinterkopf geschlungenes Haar — kurz ein, soviel es möglich war, griechisierendes Kostüm.
Die Männer stutzten ihre Haare ebenfalls, kein Zopf, kein Haarbeutel, keine Seitenlocken wurden mehr ge-sehen; der Puder verlor sich ebenfalls, und bei vielen traten ungeheure Backenbärte hervor. Hierin aber ge-nierten sich doch viele, und gerade die sittlichsten, geregeltsten der jungen Männer; denn so ein Schweden-kopf, wie man sie zuweilen nach den Porträten Karls XII. nannte, und ein starker Backenbart galt bei Loyal-gesinnten oft für das wahre Abzeichen eines Jakobiners und mancher, der die Mode als Mode mitmachte und vielleicht ganz rechtlich gesinnt war, mußte sich mit diesem Namen brandmarken lassen, der nicht ohne Übeln Einfluß auf die Gunst seiner Vorgesetzten und somit auf sein Fortkommen in der Welt blieb 2^*).
Es ist natürlich, daß die jungen Männer unserer
Sozietät die Einwirkung dieser öffentlichen Ereignisse ebenfalls fühlen mußten, und obwohl sie in Kleidung, Äußerungen und Betragen sich alle in den Schranken des Anstandes und der gebräuchlichen Formen hielten, so beschlossen doch diejenigen, die zu der gewissen Samstagsgesellschaft gehörten, diese nun aufzulösen, um der Regierung und öffentlichen Meinung keinen An-stoß zu geben; besonders da einer unter ihnen, Graf Chorinsky, der Neffe jenes hohen Staatsbearn^en war, der sich am tätigsten in der Verfolgung derA^erdäch-tigen und Verschwornen bewiesen hatter^^). Die meisten vertilgten also ihre Aufsätze! sowie] die Be-urteilungen, besonders jene, welche politische Gegen-stände behandelten und worin freisinnige Meinungen ohne Scheu, weil bloß vor Freunden, waren aus-gesprochen worden. Man fürchtete damals nicht ohne Grund sogar Haussuchungen, und diejenigen, welche noch ihre Karriere in der Welt zu mächen hatten, durf-ten keinen solchen Makel auf ihren Ruf laden.
So hatten denn die angenehmen Samstagsvereine ein Ende; es tat mir ungemein leid; aber eine gute Folge war mir doch davon geblieben. Pichler und ich hatten uns einander nicht bloß genähert, sondern wirklich vereinigt. Wir liebten uns herzlich und waren ernstlich entschlossen, uns für das ganze Leben zu ver-binden. Mitten unter poHtischen Gärungen und Dis-sonanzen wuchs und erstarkte die Harmonie unserer Seelen, und da meine Eltern, denen wir kein Geheim-nis aus unserer Liebe machten, ihren Segen dazu sprachen, so beseligte uns ein stiller Frieden, und wir sahen mit Geduld, obwohl mit recht innigem Ver-langen, einer glücklichen Wendung von Pichlers Ge-schick entgegen, die ihm eine Beförderung verschaffen,
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und ihn dadurch in den Stand setzen sollte, mir seine Hand anzubieten. Er selbst besaß kein Vermögen, aber meine Eltern konnten und woUten uns gern unter-stützen, und Pichlers Geschicklichkeit, Fleiß und Recht-lichkeit waren so bei allen Behörden^ die zu der poli-' tischen Branche gehörten, anerkannt, daß wohl an seinem baldigen und glücklichen Fortkommen nicht zu zweifeln war. ,
Der Krieg mit Frankreich ging seinen Gang mit dem bekannten Erfolge fort. Im Jahre 1795 machte Preußen seinen Separatfrieden^^^^ und ließ Österreich allein den furchtbaren Kampf fortsetzen. Dafür rückte es, unter dem Vorwande, die Gefahr jakobinischer Gesinnungen zu beseitigen, welche ihm von Polen aus drohte, mit Rußland vereint in dies unglückliche Land ein, und es ward zum drittenmal geteilt ^2'). Genau habe ich die Folge dieser, nach meiner Ansicht höchst widerrechtlichen Eingriffe in die Freiheit eines selbständigen Volkes nicht behalten. Immer aber hat mir geschienen, diese Zerstückelung und die Ungerechtigkeit, deren sich die Höfe dabei schuldig machten, sei der Giftkeim gewesen, der in dem europäischen Gemeinwesen, erst verborgen, dann immer offener wie ein Krebsschaden um sich gegriffen hat. Jene Gewaltschritte mögen wohl dem furcht-baren Eroberer zum Vorbild wie zur Rechtfertigung gedient haben, als er später, nachdem
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