Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
einen vertrauten Menschen einen Teil seiner Barschaft, seine Karten und eine Kassette mit Papieren, um es zu verwahren. Während aber jene Truppe sich nach Böhmen gezogen hatte, war die feindliche Armee uns schon ganz nahe gekommen. Der Hof, die Kanz-leien gingen fort, die kaiserlichen Schätze, Gale-rien usw. wurden eingepackt und entweder fortgesandt oder an verläßlichen Orten verborgen"^). Zum vierten Male hatten wir eine Invasion des Feindes mit allen ihren Schrecken zu befürchten, zum zweiten Male sollte sie wirklich über uns kommen, und um so furcht-barer, da man nicht bloß wie anno 1797 daran dachte, die Stadt zu verteidigen, sondern wirklich alles Ernstes
die Anstalten dazu getroffen, die Basteien mit Kanonen besetzt, die Zugbrücken an den Stadttoren in Gang gesetzt wurden, und die Vorstädte folglich dem Feinde oder dem Pöbel preisgegeben werden soUten^'^). v
Das war keine freundliche Aussicht, zumal für uns, die die Lerchenfelder Bevölkerung von der ersten Hand zu erwarten hatten. Meine Mutter, damals schon hochbetagt, überlegte, was zu tun sei. Viele rieten uns, von hier wegzugehen und taten es selbst; andere zogen, der persönlichen Sicherheit wegen vor, sich lieber in die zu belagernde Stadt einschließen zu lassen. Unter diesen war eine Familie, welche aus einer hochbetagten Mutter^''^), zwei verheirateten, aber von ihren Männern getrennten Töchtern und deren Kindern bestand. Diese trieb die Angst vor Volks-aufständen in^ie Stadt hinein, und es war auch wirk-lich zu verwundern, wie man, da eine Belagerung be-vorstand, so viel unnützes Volk in den Umkreis der Stadt aufnehmen mochte. Doch die eine der Töchter, eben jene schöne und geistreiche Frau von Kempelen, welche mit unserm Freunde Streckfuß und dann noch mit mehr andern zärtliche Verhältnisse gehabt hatte, und die nun in unserm Hause einen neuen Magnet an einem s^hr braven und interessanten Manne ge-funden hatte ^'3), Frau von K. entschied sich, in der Vorstadt zu bleiben, und wenn wir sie aufnehmen wollten, die Tage der Gefahr mit uns und unsern Haus-genossen zu teilen. Meine Mutter hatte schon früher, teils aus eigener Ansicht, teils auf den Rat eines sehr würdigen Freundes, des Waisenhausdirektors Vier-thaler, sich entschlossen, in ihrem Hause zu bleiben. Vierthaler hatte ihr nämlich gesagt: wo Gott sie hin-gestellt habe, wo ihr liegendes Eigentum sei, das sie
Antonie von Kempelen Unsignierte Miniatur — Dr. Albert Figdor, Wien
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ohne großen Schaden nicht verlassen könne, dort sei auch ihr Platz bei Gefahren; und so blieb sie denri!^ und wir fingen an, für die ersten Tage der Unruhe und Verwirrung einige Vorräte an Mehl, Hülsen-früchten, geräuchertem Fleisch, Schmalz usw. einzu-schaffen und einstweilen auf dem Hausboden zu ver-wahren. Komisch war es, bei aller Angst und Besorg-nis, die uns drückten, das Benehmen mancher von den alten Frauen, den Gesellschafterinnen meiner Mut-ter, zu beobachten, und ich habe einige Züge aus jener Zeit in dem Charakter der Frau v. Volkersdorf in meinem Roman: Die Belagerung Wiens ^'^^), aufbewahrt, wie sie von jeder Höckerin, jeder Magd sich Nach-richten holten, an die sie fest wie an offizielle Berichte glaubten; wie jedes ungewöhnliche Getöse sie in Angst versetzte, weil sie es für Schüsse hielten, und als die Feinde noch bei Linz standen, das Holzabladen in einer nahen Straße für fernen Kanonendonner gehal-ten wurde.
Zum Glück für mich waren aber auch klügere Frauen in unserem Kreise, welche doch selbst, als Offi-ziersfrauen, eher ein Recht gehabt hätten, ängstlich zu"sein. Die Baronin Richler mit ihren beiden Schwe-stern^'^), deren Mann an der Spitze eines Landwehr-bataillons ausgezogen war, und die Baronin von Engelhardt samt einer Schwester, die für den Mann, den Sohn und den Bruder zu zittern hatten, welche beim Regiment Deutschmeister standen^'*). Und gerade diese waren die Ruhigsten, die Vernünftigsten, an deren Haltung und Fassung ich mich oft aufrichtete. Es war eine schöne Frühlingszeit im Anfange des Mais, und unser stiller Garten in der Alservorstadt jeden Abend und oft auch während des Tages der Sammel-
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platz des kleinen Kreises der Freundinnen und einiger hiergebliebener Freunde, welche die Nachrichten, die jedes vernommen, ihre Mutmaßungen, düstern Be-sorgnisse oder geringen Hoffnungen einander mit-teilten.
Indessen rückten die Feinde immer näher heran, und drangen endlich bis in die Vorstädte. Jetzt hörte man wirklich
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