Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
einem großen Spital. Sowohl in der Kaserne als im eigentlichen Zivil- und Militär-spitale lag alles voll Blessierter, und wenn sie so weit ge-nesen waren, daß sie auf sein konnten, schlichen oder humpelten sie auf den Straßen umher und wurden bis zu ihrer völligen Heilung in die Privathäuser verlegt.
So bekamen wir einen Halbkranken nach dem andern, konnten uns aber mit Grund über keinen beschweren, und die stark vermehrten Ausgaben, die Beschränkung in wenige Zimmer ausgenommen, da wir z. B. einmal 17 Personen im Hause hatten, hatten wir im einzelnen wenig Verdruß; nur litt wohl jeder, der Gefühl für das aligemeine WohL hatte, durch die Vorstellung von dem, was uns alle als Österreicher noch bedrohte.
So kam der Monat Juli und mit ihm die Schlacht von Wagram ^*^) heran. Kanonendonner, obwohl ferner als bei der ersten Schlacht, verkündete uns abermals einen wichtigen Tag der Entscheidung. Aber diesmal war es unsern Mitbürgern nicht mehr gegönnt, von Kirchtürmen oder andern hohen Plätzen ferne Zeugen des Kampfes zu sein. Die Franzosen hielten alle diese Orte mit Wachsen besetzt, die niemand hinaufzusteigen erlaubten und nur, wenn sich hier und da in einem Privathause zufälligerweise ein solcher hochgelegener Raum, ein Turm, ein Belvedere usw. befand, v/ar es einigen Personen möglich, etwas zu beobachten. Aber schon das Gehör belehrte uns, wie oben gesagt, daß diesmal der Schauplatz des Gefechtes viel weiter ent-legen sei. — Dennoch horchten wir mit banger Er-wartung, ob der Schall des Geschützes sich nähere oder entferne. Das ersj:e wäre uns ein günstiges Zeichen vom Zurückweichen der Feinde und dem Vordringen des Erzherzogs gewesen. Wirklich hörten wir mit un-aussprechlicher Freude den Kanonendonner sich nähern. Man fing an zu hoffen — da sandte Napoleon den bayerischen Truppen, die denn wie alle abtrünnigen Rheinbündler ihre Schwerter gegen ihre Landsleute gezogen hatten und in der Gegend herumlagen, Be-fehl, über die Donau hinüber, der französischen Armee,
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die der Erzherzog zum Weichen gebracht hatte, zu Hilfe zu eilen. Gegen 11 Uhr marschierten die Bayern unter demselben Fürst Wrede^'°), der nun eine so schöne Besitzung in unserm guten Österreich inne hat, über die Brücken hinaus, und nicht lange darnach entfernte sich der Schall des Geschützes wieder. Mit trüber Ahnung sahen wir, was geschehen würde — die ge-hoffte Vereinigung des Erzherzogs Johann mit dem Heere seines Bruders erfolgte nicht. — Auch über diesem Faktum ruht jetzt noch, nach beinahe 30 Jahren, ein undurchdringliches Dunkel^'^), aus welchem ver-schiedene, je nachdem sie zur einen oder andern Partei gehören, eine Schuld auf der Seite eines der beiden hohen Brüder herausdeuteln wollen, das aber vielleicht erst die Folgezeit, wenn ira et Studium aufgehört haben, richtig enträtseln wird. Genug, die Schlacht ging, trotz ungeheuren Anstrengungen von Seite un-serer Armeen, verloren. Unzählige Blessierte wurden wieder nach Wien und in die umliegenden Ortschaften verlegt, von wannen sie, wenn sie ein bißchen her-gestellt waren, wieder in die Privathäuser einquartiert wurden. Auch wir verloren in dieser Schlacht einen Verwandten. Der Hauptmann Kurländer, Schwager meines verstorbenen Bruders, blieb in dieser Schlacht, und es war uns bei diesem Verlust eine Art von Trost, daß eine Kanonenkugel seinem Leben und seinen Lei-den ein schnelles Ende gemacht hatte**2).
Nun gab es wieder halbgenesene Offiziere bei uns, und überhaupt war die Stadt angefüllter als je. Alles wimmelte von kranken und gesunden Franzosen, und jetzt kam auch der unangenehme Nachtrab einer Armee — eine zahllose Menge sogenannter Em-ployes, welche weit schlimmere Gäste waren als die
eigentlichen Combattants, Unter diesen aber erwiesen sich im ganzen — Ausnahmen gibt es überall — meiner Erfahrung nach die Unteroffiziere, Sergents majors u. dgl. großenteils als bescheidene, ordentliche Leute, bei denen man noch den Vorteil hatte, daß man ihnen das Essen auf ihre Zimmer schicken, und sie nicht ge-rade an dem Familientisch haberj durfte. Sie waren meistens Bürgerskinder, Söhne stiller, achtbarer Fa-milien, und nicht selten diejenigen, welche ihre wil-deren Offiziere zu beschwichtigen und Ruhe und Ord-nung im Hause zu erhalten verstanden. Mit freund-licher Empfindung erinnere ich mich eines Reiter-unteroffiziers — Brigadier du logis war sein Titel — eines hochgewachsenen Mannes von gesetzten Jahren und
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