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Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]

Titel: Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 1769-1843 Caroline Pichler , 1881-1925 Emil Karl Blümml
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wurde, mochte Ähnliches gedacht haben^°^). — Viele — viele Menschen in Deutschland dachten da-mals ebenso, und jetzt — wo dies unheilbringende Meteor schon lange vor seinem wirklichen Tode ein-sam erloschen ist, jetzt sehen so viele einen Verfechter der Freiheit, einen Helden der Humanität in ihm, und scheinen alles vergessen zu haben, was sie selbst oder ihre Eltern durch ihn gelitten. Wohl mag sein tragisches Geschick viel zu dieser versöhnenden, mil-dern Ansicht beigetragen haben. 'Auch bin ich weit entfernt, das Mitgefühl zu tadeln, das jeden wohl-gesinnten Menschen ergreifen muß, wenn er sich diesen Mann, dem einst ganz Europa gehorchte, der
    nutu tremefecit olympum, dessen Willen durch 12—15 Jahre das Gesetz der Welt war, als Gefangenen und als hartgehaltenen,
    despotisch behandelten Gefangenen seiner erbittert-sten Feinde dort auf dem einsamen Eiland, von Weib und Kind getrennt, denkt. — Niemand hat wohl dies sein Geschick und sein Ende mit echterm christlich philosophischem Bhck erschaut und geschildert, als Manzoni in seinem Cinque maggio^*"). — Ebensowenig konnte oder kann ich in das Urteil derjenigen einstim-men, welche in Napoleon einen grausamen Tyrannen, einen fühllosen Krieger sahen. Jene Befehle de balayer le pont (nämlich von den Donaubrücken die Verwun-deten mit den Toten ins Wasser zu werfen), jene Ver-giftung der Pestkranken in St. Jean d'Acre usw. müssen — wenn sie je wahr waren — ihm gewiß nur durch eine zwingende Notwendigkeit, die sein mihtärisches Genie als solche erkannte, aufgedrungen worden sein. Aber große, unbeschränkte Macht ist eine der gefähr-lichsten Gaben für den Menschen, und die Klippe, an der meist sein sittliches Gefühl scheitert. Wer tun kann, was er will, tut selten, was er soll — pflegte meine sehr verständige Mutter zu sagen. Das war Napoleons Sünde, und er machte sich ihrer im vollen Maße schuldig; obwohl manche mit dem geistreichen Franzosen Villers glauben'°^), daß er noch mehr wegen des Guten, was er hätte tun können und sollen, und aus selbstsüchtigen Rücksichten zu tun unterHeß, an-zuklagen sei.
    Wie immer diese Beschuldigungen gestellt werden mögen — so viel ist sicher, daß sein Übermut ihn leitete und endlich verleitete, Rußland in seinem furchtbaren' Klima aufzusuchen und bezwingen zu wollen. Da-mals, wie ich ihn so im Theater in der Loge unserer Kaiser sitzen sah, faßte wohl weder ich noch sonst jemand die MögHchkeit, daß es dahin kommen sollte,

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    K. A. Varnhagen v. Ense Lithographie von Loeillot de Mars — k. k. Fidei-Commiß-Bibliothek, Wien

    und ich betrachtete ihn, solange ich dort war, immer mit dem Gefühl innerlichen Hasses. Im ganzen war auch seine Erscheinung nicht ansprechend. Zu klein und zu stämmig, um für gutgewachsen zu gelten, hatte seine Gestalt auch nichts Edles oder Imposantes. Seine Züge — das was eigentlich die Physiognomie bildet, Augen, Stirn, Nase und Mund — waren regelmäßig, das Kinn besonders schön, ganz antik aufgebogen wie an einem Antinouskopfe. Aber diese edlen Lineamente verloren durch die breite Fleischmasse des allzuvollen Gesichts, die sie umgab, und nicht einmal durch einen Backen- oder andern Bart begrenzt wurde, den größten Teil ihres Adels und ihrer Bedeutung. So bekam das Ganze — Gesicht und Figur zusammen — nach meinem Gefühle etwas Gemeines, und ich bedauerte, daß ich die Idee der tiefen und düstern Züge auf dem Kupfer-stiche, wie er in der Schlacht von Arcole die Fahne ergreift, gegen dieses wohlgenährte PrälatenantHtz ver-tauschen mußte.
    Der Friede war abgeschlossen, die Feinde sollten nun bald abziehen, und schon begann ein, obgleich noch seltener Verkehr zwischen der Stadt und der noch fernen Armee. 1
    Eines Abends trat ich bei Frau von Flies ein. — Welche Freude! Eine österreichische Offiziersschärpe hing über die Lehne des Sofa, und ein kaiserlicher Degen mit dem goldenen und schwarzen Portepee lehnte daneben. Mir ging das Herz in wehmütiger Freude auf. Wie lange hatte mein Auge diese, eben durch die Entfernung so wertgewordenen Abzeichen nicht gesehen! Ohne zu wissen, wem sie gehörte, drückte ich, da ich mich allein im Zimmer befand, die vater-ländische Schärpe an meine Lippen, und begrüßte so
    im Geist das befreundete tapfere Heer in dem un-bekannten Einzelwesen.
    Ins Kabinett der Frau vom Hause getreten, erblickte ich dieses bald in voUer Uniform und erfuhr, daß es ein

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