Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
daß seine Bewohner sich nicht gebeugt, entmutigt und von gerechter Furcht und Sorge für die nächste Zukunft in Rücksicht des Allgemeinen, und somit auch des einzelnen hätten erfüllt s^in sollen. Was war nicht schon geschehen! Tirol — das nie zu verschmerzende Tirol — die Lombardie und Venedig, Triest, das Lit-
torale und sogar auch Innerösterreich waren vom Staats-körper abgerissen, und der übriggebliebene Teil mußte bei jedem eroberungslustigen Einfall, der den Über-mächtigen und Übermütigen anwandelte,,um seine di-rekten und indirekten Staaten zu vermehren, gewärtig sein, früher oder später in diesen Abgrund einer Uni-versalmonarchie verschlungen und Gott weiß welchem rheinbündischen Fürsten oder welchem Napoleoniden als leichte Beute zugeworfen zu werden! Das waren un-sere Aussichten, das waren wenigstens die Möglichkei-ten, die — was wohl niemand mit Grund bestreiten konnte — nächstens zu Wahrscheinlichkeiten und dann auch zu Gewißheiten werden konnten. Das war das Schicksal, welches der alten, durch 500 Jahre langsam aus kleinem Anfange aufgekeimten und durch lauter rechtlichen Erwerb, nicht durch blutige Eroberungen zu solcher Größe und Macht emporgewachsenen Mon-archie, wie sie unter Maria Theresia und Kaiser Josef und bis ans Ende des achtzehnten Jahrhunderts ge-wesen, bevorstand.
Wie das alles in mein Herz eingriff, wie es mir alle menschliche Größe und Hoheit, alles menschliche Glück überhaupt als unstet, nichtig und durchaus ungenügend darstellte, kann ich nicht mit Worten ganz erklären. Es war ein tiefes, elegisches Gefühl, das sich nach und nach m-einer bemeisterte, mich die Welt mit allen ihren Hoffnungen, Freuden und Bestrebungen wie ein Schat-tenspiel betrachten machte und an gar kein bleibendes Glück mehr glauben ließ.
Dazu kam noch eine andere Bemerkung, welche jenen Betrachtungen einen Tropfen Bitterkeit mehr beimischte. Obgleich selbst nicht von altadeliger Ge-burt, hatte doch diese Institution — die Idee des Adels,
für mich immer etwas sehr Poetisches und Würdiges gehabt. Gerade weil eine altadelige Geburt etwas war, was keine Industrie, kein merkantiHsches Bestreben, ' keine noch so hochsteigende Eitelkeit den Ringenden
% i^ geben konnte; weil sie — wie man gewöhnlich zu sagen V ^ pflegt — vom Zufall, eigentHch aber von der Hand der Vorsicht jenen geschenkt und diesen auf ewig verwei-gert wurde, erschien sie mir wie die Gunst der Musen, von der Tasso sagt:
— das, was die Natur allein verleiht,
Was jeglicher Bemühung, jedem Streben
Stets unerreichbar bleibt, was weder Gold,
Noch Schwert, noch Klugheit, noch Beharrlichkeit
Erringen kann'^^).
Auch fand ich für die Nachkommen etwas Erheben-des, Anregendes in der Betrachtung der Verdienste ihrer Ahnen. Es schien mir begeisternd zum Guten, so in einem Saale, in dem die FamiHengemälde dem Enkel von den Wänden herab entgegenblickten, und er gleich-sam vor den Augen seiner Väter wandelte, sich die Bei-spiele würdiger Menschen, deren Blut auch in des Enkels Adern waUt, zur Nacheiferung vorzustellen.
Und wenn von unsrer Marmorsäle Wänden
Die Ahnenbilder auf uns niederschaun.
Wie könnten wir ihr Angedenken schänden ?
Daß es dennoch oft geschieht, daß so viele Nach-kommen größer oder wenigstens würdiger Väter un-würdig und klein handeln, weiß ich wohl, auch daß nicht alle die Herren in Harnischen und Allongeperücken, welche hier und dort in solchen Galerien abgemalt sind, ehrenwerte Männer und nachahmungswürdige Beispiele gewesen; aber das ändert nichts an der all-gemeinen Idee des Adels, und benimmt ihm nach mei-nem Gefühl nichts von dem Poetischen, was er von je-
her für mich hatte. Es ging mir in der römischen Ge-schichte ebenso, und sei es nun die Darstellungsart des Livius, oder eine angeborne Weise zu empfinden— bei mir hatten die Patrizier immer recht gegen die Plebejer. Ich konnte jener Schwester einer Konsulsfrau ihren bürgerlichen Hochmut nicht verzeihen, der im Grunde kein besserer war als der Adelstolz ihrer Schwester, und welcher die Veranlassung gab, daß künftig der eine Kon-sul stets aus den Plebejern gewählt werden mußte®i^). Auch sah und sehe ich noch nicht ein, daß .das stets mehr aufkommende demokratische Prinzip, welches allmählich in Rom immer mächtiger wurde, dem Staate oder der Stadt par excellence (Urbi) zu großem Nutzen gewesen wäre. Es war eben der Gang der Vorsicht mit dem Menschengeschlechte, es mußte so kommen, weil der
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