Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
schlechte Verse für jene Zeit, und hatte ein paar Trauerspiele in ehrenfesten Alexandrinern in ihrem geheimsten Schranke liegen, die in spätem Jahren, als sie mit großem Vergnügen in ihrer Nichte ein poetisches Talent wahrnahm, nur ich allein, und unter dem Siegel der Verschwiegenheit zu sehen bekam. Froh und freundhch wie helle Punkte glänzen mir aus dem Dunkel tiefer Vergangenheit diese bei der Großmutter und Tante verlebten Stunden entgegen. Sie stehen jetzt noch nach viel mehr pls einem halben Säkulum deutlich vor meinem Geiste, ich könnte auch die Stelle jedes Stuhles, jedes Buches in dem einfachen Zimmer bezeichnen, so wie -ich ein paar Sprüche wohl behalten habe, die ich oft bei passender Gelegenheit,
wenn ich kindisch und täppisch nach allem langte, was nicht für mich gehörte oder wenn ich nach etwas fragte, was ich nicht verstand, von der Großmutter hörte und deren einer meinem kindischen Verstände lange wie ein unbegreifhches Rätsel erschien.. Lern was, so kannst du was, stiehl was, so hast du was und laß jedem das seine''^). >
Diese gute, freundhche Großmutter war nun tot, die Tante bezog unser Haus, und meine Eltern ver-ließen nun auch die Wohnung beim großen Christoph, und erhielten eine sehr schöne und äußerst geräumige in einem Hause „am Graben", in welchem sich auch eine Hauskapelle befand"). Hier, wo eineEnfilade von vier bis fünf Zimmern bloß zum Empfange von Ge-sellschaften bestimmt war, und noch viele andere Ge-mächer zur Bewohnung der zahlreichen Hausgenossen vorhanden waren, erweiterte sich unser häushches Le-ben sehr. Meine Eltern boten jenem Herrn Haschka, der von seinem ersten Eintritt ins Haus sich als eine bedeutende und angenehme Erscheinung gezeigt hatte, Quartier in ihrer Wohnung an; es wurde für meinen Bruder ein Hofmeister und für mich ein Mädchen an-genommen, das aus gutem Hause, aber arm und einige Jahre älter als ich, mir zur Gespiehn und gewisser-maßen zur Aufseherin bestellt war. Wir hatten viele Domestiken, Equipage, Reitpferde, eine nach damah-gen Begriffen elegante Wohnung, täghch abends zahl-reiche Gesellschaft, sehr oft Gäste zu Mittag, und meist ein paar Freunde zum Souper.
So gestaltete sich unser Leben glänzend und ange-nehm. Vielleicht bestand aber die größte Annehm-lichkeit desselben (wenigstens dünkt es mich jetzt so) in dem Umstände, daß die höhere Geistesbildung mei-
ner Eltern, welche sie vor den meisten ihrer Standes-genossen auszeichnete, ihnen den Umgang mit geist-reichen, gebildeten und sogar gelehrten Personen wünschenswert, ja zum Bedürfnisse gemacht hatte. Mein Vater malte sehr hübsch in Pastell, er dichtete artige Lieder, welche damals (vor 70—80 Jahren) mit gefälliger Musikbegleitung allgemein bekannt und ge-sungen wurden. Eins derselben erhielt eine besondere Zelebrität, es fing also an:
Als in jüngstvergangnem Jahr Leipzigs Ostermesse war, Hatte in des Marktes Mitte Amor eine Krämerhütte, Und bot freundlich jedermann Herzen zu verkaufen an; usw.^ä^.
Überdies Hebte und trieb er Musik mit großem Eifer, und fand bei vielen und wichtigen Geschäften doch immer noch Zeit für die Erholungen, welche die schönen Künste ihm boten. /
Meine Mutter, im Gegensatze von ihm oder um den Kreis der Bildung, der sich in unserm Hause fand, zu vervollständigen, hatte einen ausschließenden Hang zu ernsten Wissenschaften. Sie verachtete, möchte ich beinahe sagen, Dichtkunst und überhaupt schöne Künste, sie hielt blutwenig von der Geschichte, die ihr zu wenig ausgemachte und unzweifelhafte Wahrheit bot. Sie strebte nur nach dieser, wollte nur diese fin-den, hören und ihr folgen. Gewiß ein edles Streben, nur leider! daß es dem Menschengeiste in seinen ir-dischen Beschränkungen so ganz und gar nicht möglich ist, außer der Mathematik sich irgend einer unbestritte-nen Wahrheit zu versichern, und endlich doch alles aufs Glauben und Dafürhalten hinausläuft! Dieser Geistesrichtung gemäß, interessierte sich meine Mutter
für Naturgeschichte, Naturlehre, sogar Astronomie, welche letztere Wissenschaft für sie großen Reiz hatte, und endlich für Untersuchungen in einem Fache, das gewiß wenig Männer, und vielleicht außer ihr noch nie eine Frau beschäftigt hat. Sie strebte nämhch, durch die Bekanntschaft mit den Religionen und Mythen aller alten und neuen Völker, mit den Tradi-tionen, den Geschichten der Vorwelt, den Mysterien, Tempelgebräuchen usw. zur ursprünglichen und höch-sten Erkenntnis in
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