Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
Rücksicht der Gottheit, unseres Ver-hältnisses zu ihr, der Geologie und Kosmogonie zu ge-langen. Zu diesem Behufe las und exzerpierte sie eine Menge Bücher in allen Sprachen, und ich besitze noch mehrere Blätter, auf welchen sie einige Andeutungen der Resultate ihrer Forschungen aufgezeichnet hat. Das männliche Geschlecht kam bei allen diesen Unter-suchungen nicht zum besten weg, und meine Mutter war sehr geneigt (wie ich später hörte, als ich imstande war, solche Begriffe zu fassen, und ihr oft Bücher vor-las, welche in diesem Sinne geschrieben waren, z. B. Sur les droits des femmes, par Mme. de Wolstonecraft^^) das System aufzustellen, daß die Frauen ursprüngHch von der Natur und Vorsicht zur Herrschaft bestimmt seien, und dieses Vorrecht durch eine Art von Usur-pation des männlichen Geschlechtes, welches uns an physischen Kräften übertrifft, verloren habe. Doch das ist eine Abschweifung, welche eigentlich nicht hier-her, sondern in die spätere Zeit meiner aufblühenden Jugend gehört; aber sie floß zu natürlich aus dem Vor-hergesagten, um ganz unterdrückt zu werden, und ich werde mich nur später darauf berufen.
Ich kehre zu dem Punkte zurück, auf dem sich unser Haus in den Jahren 1777, 78, 79 befand. Haschka,
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Franz Josef von Ratschky Stich von Friedrich John — k. k. Fidei-Commiß-Bibliothek, Wien
der durch seinen lebendigen Geist, durch sein Dichter-talent, durch seine RechtHchkeit und echte Freund-schaft, wohl aber auch durch ein Betragen, das ich jetzt, nach 50 Jahren darüber nachdenkend, fordernd und um sich greifend nennen möchte, mit jedem Tage mehr Ansehen uüd Gewicht in unserer FamiHe be-kam, führte nach und nach die damaligen Schöngeister von Wien bei uns ein. Alxinger^o), sein treuester Freund, wurde bald eben dies für meine Eltern, und war täghch bei uns; Leon (ebenfalls Dichter und spä-ter Kustos der k. k. Bibhothek)«!) ward durch Haschka als Hofmeister meines Bruders ins Haus gebracht. Durch diese beiden lernten wir Ratschk782)^ Denis ^3)^ Mastalier^'i), Blumauer^s) usw. kennen, und durch die Professoren Well (den Botaniker und Naturfor-scher), Jacquin, Abbe EckheP6),Sonnenfels87),Sperges88), Maffei^^) (lauter Namen, welche die Literargeschichte Österreichs mit Achtung nennt) wurden auch die ernstern Wissenschaften in unsern Kreis gezogen.
Mein Geist war lebhaft, meine Phantasie beweghch. Die schönen Künste lebten und herrschten in unserm Hause, Dichter umgaben uns beständig, Musiker, Maler von einiger Bedeutung, welche nach Wien kamen, heßen so wie Gelehrte anderer Art sich bei meinen Eltern einführen, deren Haus vor vielen der Hauptstadt sich auszeichnete. Alles, was von neuen Dichterwerken im In- und Auslande erschien, wurde sogleich bei uns bekannt, gelesen, besprochen. Herr v. Leon, unser Hofmeister, damals ein junger Mann von 23—24 Jahren, fand Vergnügen an der lebhaften Weise, womit mein Geist alles auffaßte, was Dichtung hieß, so z. B, die Bürgerschen Romanzen, die ich bald auswendig wußte. Wenn ich gut gelernt hatte,
las er mir zur Belohnung eine Szene aus Götz von Berlichingen, ein Stück aus Werther, Woldemar^^) oder einer andern Dichtung vor; und ich kannte diese Bücher, wußte manches davon auswendig, ehe ich im-stande war, ihren Wert auch nur im geringsten zu fassen und zu beurteilen. Ob dies wohl klug gehandelt war bei einem Kinde, dessen Phantasie ohnedies zu lebhafte Sprünge machte, will ich dahingestellt sein lassen; es diente aber, nebst den Einwirkungen, welche von allen Seiten auf mich eindrangen, sehr dazu, den Keim zur Dichtung, der in mir lag, zu erwecken. Ich versuchte mit zehn Jahren, einige gereimte Zeilen zu-sammen zu setzen (denn mit einem bessern Namen verdienen so rohe Anfänge nicht genannt zu werden), und so entstand mein erstes Liedchen, auf dessen erste Zeilen ich mich noch besinne:
Wie lieblich ist der Morgen, Wie schön ist's auf der Flur! Es schwinden alle Sorgen, Die Freude lächelt nur usw.
Daß dies nichts als Reminiszenzen aus der Unzahl von gelesenen und gehörten Gedichten waren, die täg-lich und stündlich in meinem Kopfe spukten, ist klar, und wenn wir die ersten Versuche so mancher, beson-ders der sogenannten „Naturdichter" betrachten, die dehn auch auf gewisse Weise noch Kinder sind, wie ich es war, so wird sich finden, daß ihr Dichterberuf, so wie meiner damals, wohl in weiter nichts als einer glückhchen Kombinationsgabe und gutem Gedächt-nisse besteht. Indessen — mein Liedchen wurde
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