Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
Ihr Zustand erlaubte ihr nicht, im Bette zu bleiben, so brachte sie die wenigen Tage der sehr verschlimmerten Krankheit bis zu ihrem Tode auf ihrem Kanapee sitzend, mit Kissen gestützt, zu. Kaiser Josef verließ die verehrte Aiutter in die-sen düstern Tagen fast nicht mehr, und zeigte ihr un-geheuchelten Schmerz und kindliche Achtung. Man erzählt, sie habe, völlig vertraut mit dem Gedanken, in kurzem aus diesem Leben zu scheiden, und jede wohlgemeinte Täuschung in dieser Ansicht von sich abwehrend, sich zuerst als Christin mit Beobachtung aller vorgeschriebenen Gebräuche zum Tode bereitet, und sich dann vorgenommen, die Annäherung des letzten Augenblicks mit ruhiger Fassung zu be-obachten^^''); daher habe sie ihrem Leibarzt, B. v. Störck^^^), in einer geheimen Unterredung befohlen,, wenn er glaube, daß der Augenblick des Scheidens eintreten werde, ihr dies durch ein, den übrigen An-wesenden unmerkliches Zeichen zu erkennen zu geben. Es wurde beliebt, daß B. v. Störck, der sich stets bei der erhabenen Kranken befand, oft ihren Puls fühlte, und die wenigen möglichen Erleichterungen und Hilfs-
mittel verordnete, sie, wenn er jenen Zeitpunkt ein-getreten glaubte, fragen sollte: ob sie vielleicht Limo-nade befehle ? und daß die Kaiserin dann schon wissen würde, was dies zu bedeuten habe. Ich kann die Echt-heit dieser Anekdote nicht verbürgen, weil meine Mut-ter natürlicherweise nicht mehr im unmittelbaren Hofdienst um die Person der Monarchin war, und mein Vater wohl täglich mehrere Male sich in der Kammer der Kaiserin persönlich nach ihrem Befinden erkun-digte, aber die vielgeliebte und hochverehrte Frau in der kurzen Zeit ihres letzten Ubelbefindens, das nur wenige Tage währte, nicht mehr sah. Indessen, wenn jene Geschichte mit der Limonade av;ch nur eine Er-findung war, so zeugt sie doch von der Ansicht und Vorstellung, welche man sich im Publikum von der Kraft und frommen Heiterkeit ihres Geistes machte. Am 29. November 1780, zwischen 8 und 9 Uhr abends, als eben einige treue Freunde meiner Eltern bei ihnen versammelt waren und alles mit banger Sehnsucht den Nachrichten entgegensah, die man heute noch vom Hofe erwartete, trat — ich erinnere mich des-sen sehr lebhaft — der Gemahl jener Verwandten, nach deren Vornamen meine selige Schwester war getauft worden, Regimentsrat von Häring^^^) (wie man da-mals sagte), einer der genauesten Freunde unsers Hauses, ins Besuchzimmer, und seine düstere Miene zeigte schon, daß er nichts Gutes zu verkünden habe. Jetzt ist wahrscheinlich die Kaiserin gestorben, sagte Herr von Häring'^^^). Ich bin durch die Burg gegangen, es ist ein Hin- und Herlaufen, eine Bestürzung unter den Leuten, die auf nichts anderes schließen lassen. So sehr meine Eltern auf diesen Schlag vorbereitet wa-ren, so entstand doch die heftigste Erschütterung.
Mein Vater eilte nach Hofe; — es war nur zu wahr, was unser Verwandter vermutet hatte; — Maria The-resia war verschieden und eine neue Zeitrichtung trat an die Stelle der bisher befolgten.
Ich stehe nun mit meinen Erinnerungen an einem Abschnitte, den man mit Recht einen Wendepunkt in der Geschichte, besonders in der Österreichs, nennen kann, an dem Regierungsantritt Kaiser Josefs IL
Sprünge geschehen nicht, weder in der physischen noch in der moralischen Welt, und jeder folgende Zu-stand des Einzelwesens wie des Ganzen liegt lange vorbereitet und eingehüllt im Vorhergehenden, so daß er selten mit überraschender Neuheit plötzlich hervor-tritt, sondern sich meistens nur nach und nach entfal-tet und jene Veränderungen sichtbar erscheinen läßt, welche gleichsam unsichtbar schon länger vorhanden waren. So war es auch damals mit jener Periode der Denk- und Preßfreiheit, Aufklärung, Neuerung und Philosophie, deren Wurzeln weit zurück in vergange-nen Dezennien zu suchen waren. Indes trat sie, ob-^wohl lange vorbereitet, bei Gelegenheit des Regenten-wechsels auffallender hervor, und schien von diesem mehr abhängig, als wirklich der Fall war.
Wir in unserm Hausstande fühlten sogleich eine Wirkung dieser Neuerungen. Kaiser Josef schaffte die sogenannten Hofquartiere ab, nämlich die Woh-nungen, welche die Hausbesitzer Wiens seit undenk-lichen Zeiten den kaiserlichen Beamten hatten einräu-men müssen und wofür sie nur einen sehr unbedeuten-den Zins erhielten, weil man vermutlich in alter Zeit glaubte, daß die Hauseigentümer, um des Vorteils
willen, das Hoflager beständig in ihrer Stadt zu be-sitzen, für die
Weitere Kostenlose Bücher